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berliner szenenEin Maximum an Existenz

In der S-Bahn unterhalten sich zwei Männer, beide etwa Mitte 20 in weißen Maureranzügen. Der eine ist lang und dünn und trägt eine Maske, auf der Freiwillige Feuerwehr steht. Der andere ist irgendwie fertig. Man sieht es ihm an: Die Tränensäcke unter den Augen sind dick, seine Haltung ist schlecht, und er wirkt erschöpft. „Ich weiß nicht, aber wenn das so weitergeht, halt ich das alles nicht mehr lang durch. Ich leb schon am Existenzmaximum.“ Der von der Feuerwehr guckt, als wäre alles normal und fragt: „Wieso, was machst du denn?“

„Ich krieg nichts hin, kann nachts nicht mehr schlafen, also gucke ich was bis vier, rauche dazu ein bisschen, dann schlaf ich zwei Stunden und muss mit dem Hund raus. Dann Arbeit. Abends wieder Hund und Streamen. Ich bin fertig, Alter. Fertig.“

„Hör mal auf zu rauchen“, sagt der Feuerwehrmann. „Das zieht einen runter.“

„Nee“, sagt der andere. „Ist die Arbeit, auf jeden Fall. Wenn ich aber denke, wie die ganzen Büropupser rumheulen, weil se im Homeoffice sitzen müssen, da können wa noch Mitleid haben.“ Der Feuerwehrmann lacht und guckt mich an. Ich überlege, ob ich schon von Weitem nach Büropupser aussehe, und vermute: ja. Ich sage also: „So wie ich oder was?“

„’tschuldigung“, sagt der am Existenzmaximum. „Ihr heult rum, und ich heul genauso rum, aber im Homeoffice würd ich gar nicht mehr aufstehen.“ Er lacht. „Schön vom Bett aus alles machen, wa?“ Der Feuerwehrmann guckt mich gespannt an.

„Geht so“, sage ich vage.

„Nix für ungut“, sagt der am Existenzmaximum und dann erst mal nichts mehr. Ich stehe bald auf, und unsere Blicke fallen alle auf meine ausgebeulte Jogginghose, die auch eine Schlafanzughose sein könnte, wie mir da auffällt. „Gute Nacht“, sagt der Feuerwehrmann. Und ich muss kichern und sage: „Euch auch.“

Isobel Markus

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