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Archiv-Artikel

„Man muss dort sein, um es zu begreifen“

Lehrer, die helfen statt zu nörgeln – die deutsche Schülerin Tatjana Budziarek ist beeindruckt von der finnischen Schule

taz: Tatjana, du warst zehn Monate in einer finnischen Schule. Was ist anders in den finnischen Schulen, die bei Pisa 2003 ja wieder ganz vorne waren?

Tatjana Budziarek: Mich hat am meisten das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern beeindruckt. Das ist so anders als hier.

Was meinst du damit?

Es ist freundschaftlicher. Lehrer werden geduzt und mit dem Vornamen angesprochen. Gut, das kommt schon durch die Sprache. Aber sie haben auch eine andere, entspanntere Haltung den Schülern gegenüber. Ich habe in Tampere zum Beispiel nie erlebt, dass ein Lehrer einen Schüler dumm angemacht hat – wegen schlechten Arbeitens etwa. Grundsätzlich können Schüler in Finnland viel mehr Entscheidungen treffen. Alles ist nicht so verbissen streng.

Kuschelpädagogik nennen das hier viele.

Nö, das trifft’s gar nicht. Lehrer haben sehr wohl Autorität. Sie werden mit Respekt behandelt. Ich glaube, die verstehen ihre Rolle anders, als es hier in Deutschland meistens üblich ist. Finnische Lehrer sehen sich als Begleiter in der Schullaufbahn, nicht nur als Stoffvermittler.

Also kein Frontalunterricht?

Doch, das gibt es sehr wohl. Wie in Deutschland. So, wie man sich das vorstellt. Aber halt nicht so oft. Es wird viel öfter die Methode gewechselt. Eigenständiges Lernen spielt die Hauptrolle im finnischen System.

Aber es gibt doch auch Stoffe, die zu vermitteln sind, einen Lehrplan.

Der Lehrplan in Finnland ist auf den Einzelnen bezogen. Die Lehrer gestalten den Lehrplan sozusagen individuell für jeden Schüler. Die machen sich ziemlich viel Arbeit damit. Ich hatte den Eindruck: Die Lehrmethoden richten sich viel mehr nach den Schülern als hier.

Was passiert mit den Schülern, die nicht mitkommen?

Die können nach der Schule, manchmal auch parallel, in kleineren Gruppen extra gefördert werden. Bezahlten Nachhilfeunterricht wie in hier Deutschland gibt es da gar nicht.

Warum bist du nach Finnland gegangen?

Ich wollte schon immer mal ins Ausland gehen. Aber ich wollte nicht das Gleiche wie die anderen machen. Und da ich ein bisschen Finnisch konnte, bin ich da hin. Es ging aber auch um Schule. Auf meiner alten Schule waren die Lehrer viel zu nachtragend. Ich hatte das Gefühl, die verfahren nach der Methode: einmal verkackt, immer verkackt. In Tampere war ich auf dem Messukylän lukio, einer gymnasialen Oberstufe mit Schwerpunkt Journalismus. Ich fand es echt super. Ich glaube, mir hat einfach alles besser gefallen als hier.

Und jetzt?

Ich versuche einen komplett neuen Anfang in einer anderen Schule hier. Ich will mein Abi ohne die Vorurteile meiner alten Lehrer machen.

Wie läuft es?

Es ist noch zu früh, um das sagen zu können. Ich bin erst ein paar Wochen da.

Wie denkst du im Nachhinein über deinen Schultrip nach Finnland?

Dass es sich wirklich gelohnt hat. Und dass ich wieder hinwill. Nach den Sommerferien schreibe ich mich an der Uni als Gasthörer ein. Dann noch zwei Jahre Schule, und ich kann in Finnland studieren. Klingt verrückt, aber man muss dort gewesen sein, um es zu begreifen.

INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER