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Archiv-Artikel

Gut im Zielen, schlecht im Rechnen

FAKTENCHECK Oskar Lafontaine gibt gerne den Rächer der Entrechteten. Doch die Vorschläge seiner Partei zur Umverteilung gehen vorne und hinten nicht auf

Oskar Lafontaine sagt …

Der sonntaz-Faktencheck: In den Wochen vor der Bundestagswahl überprüft die sonntaz Aussagen von Politikern: Richtig oder falsch? Konsistent oder widersprüchlich? Glaubwürdig oder scheinheilig?

Oskar Lafontaine: „Wir haben immer darauf geachtet, dass unsere Vorschläge finanzierbar sind“, sagte er in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung, das am 17. September erschien. Und weiter: „Wir wollen die Vermögensteuer wieder einführen, Erbschaftsteuer, Spitzensteuersatz und die Gewinnbesteuerung bei Unternehmen erhöhen und die Abschlagsteuer wieder umwandeln in eine Steuer, die sich am persönlichen Einkommen orientiert. Das wären 100 Milliarden Euro Mehreinnahmen im Jahr.“

VON SEBASTIAN HEISER

Oskar Lafontaine hat als ehemaliger Ministerpräsident und Finanzminister den Ruf, sich mit Geld gut auszukennen. Und im Wahlprogramm der Linken geht es sehr oft um Geld. Lafontaine nennt das Programm „finanzierbar“. Doch auch prominente Parteifreunde räumen ein, dass die Rechnung diesmal nicht ganz aufgeht.

Eine der größten Ausgaben im Wahlprogramm der Linken sind die „Investitionen von 100 Milliarden Euro pro Jahr in Bildung, Gesundheit, Klimaschutz, Infrastruktur und Verkehr“. Hinzu kommt ein Zukunftsfonds von weiteren 100 Milliarden Euro für den sozialen und ökologischen Umbau von Unternehmen. Außerdem will die Linke länger Arbeitslosengeld I zahlen, 1-Euro-Jobs in tariflich bezahlte Jobs umwandeln, den Hartz-IV-Regelsatz von 351 auf 500 Euro anheben und den steuerfreien Grundfreibetrag erhöhen.

Viel Geld wird der Staat auch aufbringen müssen, um „sämtliche Kürzungsfaktoren aus der Rentenformel zu streichen“, wie es im Wahlprogramm heißt. Die Rente soll es weiterhin ab 65 geben, jeder Rentner soll mindestens 800 Euro erhalten. Pflegebedürftige sollen mehr Geld aus der gesetzlichen Pflegeversicherung bekommen. Die Beschäftigten im Gesundheitssystem sollen besser bezahlt werden. Bei der gesetzlichen Krankenkasse sollen alle Zuzahlungen und die Praxisgebühr abgeschafft werden. Und so weiter.

Die Linkspartei legt keine Rechnung vor, was das jeweils kosten soll. Weil oft nur allgemein eine „Erhöhung“ versprochen wird, ohne Details zu nennen, lassen sich die Kosten auch nicht exakt nachrechnen. Carl Wechselberg, Haushaltsexperte der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, schätzt: „Unser finanzpolitisches Konzept kostet jetzt 300 Milliarden Euro im Jahr“, sagte er der taz.

300 Milliarden Euro sind viel Geld, sehr viel Geld. Zum Vergleich: Im aktuellen Bundeshaushalt stehen Ausgaben von 303 Milliarden Euro. Wechselberg findet die Wahlversprechen unseriös: „Das glaubt uns doch kein Mensch.“ Im Mai ist er daher aus der Partei ausgetreten. In der pragmatisch orientierten Linksfraktion im Berliner Landesparlament sitzt er nach wie vor.

Gegenreaktionen einkalkulieren

„Ich räume ein: Nicht alles ist wohl bis zum Komma durchgerechnet“

GREGOR GYSI

Wie will die Linke die Ausgaben finanzieren? Der Spitzensteuersatz soll auf 53 Prozent steigen, heißt es im Wahlprogramm. Die Partei will außerdem eine Vermögensteuer für Millionäre sowie eine Börsenumsatzsteuer einführen. Gutverdiener sollen voll in die Sozialkassen einzahlen. Die Partei will auch eine „höhere Erbschaftsteuer realisieren“, ohne den genauen Steuersatz zu nennen.

Laut Lafontaine sind das 100 Milliarden Euro Mehreinnahmen. Der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel ist skeptisch. Eigentlich hat er Sympathien für die Linke, berät Lafontaine sogar ab und zu. Doch „bei der Finanzierung muss man natürlich auch Gegenreaktionen einrechnen“. Hohe Steuern könnten zu einem „Verweigerungsverhalten“ führen.

Dazu ein Beispiel: Angenommen, jemand besitzt ein Vermögen von 10 Millionen Euro. Durch geschickte Geldanlage erzielt er nach einem Jahr eine Rendite von 11 Prozent, macht also 1,1 Millionen Euro Gewinn. Zuerst werden laut dem Linke-Konzept gut 560.000 Euro Einkommensteuer fällig. Die Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung, die die Linke auch für Kapitaleinkünfte fordert, machen noch einmal rund 100.000 Euro. Und dann wird noch 450.000 Euro Vermögensteuer fällig.

Bleibt unter dem Strich: nichts. Die Steuern zehren die gesamte Rendite auf. Real verliert das Vermögen sogar durch die Inflation, die im Schnitt bei 2 Prozent liegt, an Wert. Wenn die Inflation berücksichtigt wird, müsste der Beispiel-Millionär eine Rendite von jährlich 16,5 Prozent erwirtschaften – nur um die Steuern zu zahlen und real sein Vermögen zu bewahren.

Verschuldung ist Umverteilung nach oben

„Unser Konzept kostet 300 Milliarden Euro im Jahr. Das glaubt doch kein Mensch“ CARL WECHSELBERG

Wer eine so hohe Rendite erzielen will, muss sein Geld schon sehr spekulativ anlegen. Viele Reiche werden dann lieber ins Ausland ziehen, bevor ihr Geld weg ist. Die geplanten Einnahmen fallen dann aus. Professor Hickel: „Die Forderungen gehen ja in die richtige Richtung, müssten aber erheblich stärker auf Machbarkeit getrimmt werden.“

Auch Gregor Gysi sagte im Interview mit dem Neuen Deutschland: „Ich räume ein: Nicht alles ist wohl bis zum Komma durchgerechnet.“ Er verriet auch, wo das fehlende Geld dann herkommen soll: Der Staat „muss Schulden machen, um eine schwächelnde Wirtschaft auch bei rückläufigen Steuereinnahmen anzukurbeln“.

Eine höhere Staatsverschuldung also. Dabei leiht die Regierung sich im ersten Jahr Geld, um damit Wohltaten zu bezahlen. In jedem folgenden Jahr hat der Staat dann weniger Geld. Das braucht er dann nämlich, um die Zinsen zu zahlen. Und die fließen an die Leute, die der Regierung Geld leihen. Also an Wohlhabende oder an spezielle an der Börse gehandelte Rentenfonds. Staatsverschuldung ist also eine besondere Form der Umverteilung – von unten nach oben.