„Ich war nie nervös“
Ein Gespräch mit dem Musiker und Produzenten Daniel Lanois über seine Zusammenarbeit mit Bob Dylan und Brian Eno, die Einsamkeit mexikanischer Dörfer und über seine Fähigkeit, den Stars das Gefühl zu geben, er sei bedingungslos für sie da
INTERVIEW MAX DAX
taz: Herr Lanois, Ihre Karriere begannen Sie als Assistent von Brian Eno, dem Erfinder der Ambientmusik. Nun haben Sie mit „Belladonna“ ein Instrumentalalbum veröffentlicht, das durch seine Reduktion, Einfachheit und Bescheidenheit besticht: Fast klingt es so, als wären Sie wieder bei Brian Eno angelangt.
Daniel Lanois: Das war sogar ein Wunsch von mir. Brian Eno und ich haben damals, Anfang der Achtziger, mit Hingabe an Sounds und neuen Klangräumen gearbeitet, die ihrer Zeit weit voraus waren. Ich wollte diese Zeit, in der ich Eno bei Alben wie „Apollo“ assistierte, beschwören und auf diese Weise meine eigenen Wurzeln freilegen – als Instrumentalist, mit der Pedal Steel Guitar und mit Unterstützung von Musikerfreunden wie Brian Blade oder Brad Mehldau. Mit Brian Eno habe ich damals immer sehr zurückgezogen gearbeitet. Ohne große Ablenkungen. So zu arbeiten habe ich zwischenzeitlich vergessen. Denn wir sind Teil einer kommerziellen Popkultur, die uns zu Lieferanten immer neuer Popsongs versklavt hat. Das ist die gleiche Popkultur, die aus Musikern Stars und aus Stars Kleiderständer macht, von denen man wissen will, mit wem sie zurzeit das Bett teilen. Zu viel Popkultur kann die Gefühle zerstören.
Aber Sie haben die Popkultur doch selbst mitgeformt: indem Sie Alben produzierten, die hunderte von Millionen Einheiten verkauften. Sie haben das Spiel der Inszenierung auf höchstem Niveau mitgespielt.
Ich möchte U2 verteidigen: Es ist schon eine tolle Sache, wenn man in der Lage ist, ein Konzert anzukündigen – und 50.000 Menschen kommen. Auf mich haben U2 immer gewirkt wie eine moderne Kirche. U2 können die Menschen mitreißen, so wie es in der Vergangenheit die Religion vermocht hat. Sie predigen gewissermaßen das Gegenteil von Isolation. Gemeinschaftsgefühl. Sie berühren in diesem Sinne einen Nerv. Wie schaffen sie das? Ganz einfach: Sie mögen Menschenmassen. Darin sind sie die Besten.
Ihre Platte wirkt wie der absolute Gegenpol sowohl zu Stadionrock als auch zu dem Songwriting eines Bob Dylan oder Willie Nelson.
Das sind allesamt große Männer, und die Arbeit, die wir gemeinsam verrichtet haben, hat die Geschichte der Rockmusik nachhaltig geprägt. Ich selbst habe ein introvertiertes Instrumentalalbum aufgenommen, weil ich wie früher eine Atmosphäre kreieren wollte. Darum geht es doch: Stimmungen zu manipulieren. Die Stimmung eines Raums, die Stimmung des Hörers. Sich dessen bewusst zu sein ist eine Verantwortung, die wir Musiker haben – wir haben die Hoheit über das Medium. Und natürlich ist es zugleich eine Freiheit.
Sie verließen Los Angeles, um diese Atmosphären ein paar hundert Kilometer südlich in Mexiko zu realisieren.
Ich habe das letzte Jahr auf der Halbinsel Baja in einem Dorf namens Todos Santos gelebt, jenseits aller Städte. Eine solche Umgebung weckt natürlich die Imagination: Sie wird hungrig, will befriedigt werden. Entspannung und Stille können auf diese Weise gewaltig werden. Das ist vermutlich auch der Grund, warum wir zurzeit so viele hervorragenden mexikanischen und lateinamerikanischen Schriftsteller haben: Es ist, als ob diese mit einer anderen Hingabe denken, als ob das Land es ihnen erlauben würde, tiefer in sich selbst hineinblicken zu können. Denn das Land ist schön, klar und sehr psychedelisch. Ich finde ja, dass meine Platte psychedelisch ist.
Haben Sie Pilze gegessen in Mexiko?
Ich habe tatsächlich nach Pilzen gesucht – aber keine gefunden. Allerdings möchte ich anmerken, dass Atropa Belladonna der lateinische Begriff für Tollkirsche ist. Deadly Nightshade wiederum ist das englische Wort für Tollkirsche und zugleich der Titel von einem der neuen Stücke. Ich habe mir sagen lassen: Wer Tollkirschen isst, begibt sich auf einen langen, psychedelischen Trip.
In einem Song wie „Agave“ sind mexikanische Melodien zu hören. Was mögen Sie an Mexiko?
Vermutlich ist es die Einsamkeit in den abgelegenen Gegenden. In Todos Santos auf alle Fälle steht die Zeit seit Jahrhunderten still. Todos Santos ist wie eine Westernstadt. Die Menschen, die dort leben, verrichten ihre tägliche Arbeit mit Hingabe – in diesem Fall die Bewirtschaftung ihres Landes und Teppichknüpferei. Sie knüpfen ihre Teppiche per Hand, und sie benutzen noch immer natürliche Bleichmittel, die sie aus exotischen Beeren und Insekten gewinnen. Wie sie es seit hunderten von Jahren schon machen. Ich meine: Ich weiß die Vorzüge von L. A. sehr wohl zu schätzen, aber die Einfachheit in Mexiko hat mich sehr beeindruckt.
Hängt das mit dem Klima zusammen?
Ich würde eher sagen, es hat etwas mit der wüstenähnlichen Landschaft und den entsprechend extremen Temperaturen zu tun. Menschen mit Fantasie und aller Zeit der Welt können in einer solchen Umgebung auf die tollsten Ideen kommen. Auf andere Ideen auf alle Fälle als in den Großstädten.
Sie haben in L. A. einen Palast von einem Haus zurückgelassen, als Sie in Mexiko lebten.
Ich wollte immer reisen, war immer rastlos, brauche ständig Veränderung, auch weil von mir als Produzenten ständig neue Ideen erwartet werden. Es ist ein sehr schönes Haus, aber ich fühle mich dort nicht zu Hause. Ich habe mir erst kürzlich ein Haus in Toronto gekauft, und ich ertappe mich dabei, dass ich so viel wie möglich Zeit in Kanada und Jamaika verbringe, wo ich mir ebenfalls Land zugelegt habe.
Bob Dylans Album „Oh Mercy“ haben Sie 1988 in New Orleans aufgenommen.
Ja, das war für uns beide eine ziemlich intensive Zeit. Es war sehr interessant für mich, in Dylans Memoiren zu lesen, was ihm damals so alles durch den Kopf gegangen ist, als wir die Platte aufnahmen. Denn wenn man an einem Album arbeitet, dann redet man über viele Dinge. Ich möchte etwas herausziehen aus den Leuten, mit denen ich zusammenarbeite. Etwas Privates, etwas Persönliches. Durch welche Emotionen geht der Künstler an diesem Punkt seines Lebens?
Meiner Meinung nach müssen solche Aspekte in einem Album, das im Entstehen begriffen ist, implementiert werden. Passiert dies nicht, ist ein Album eine Sammlung von Songs, aber kein kraftvolles Statement. Aus Rücksicht, aus Professionalität und aus Vorsicht versucht man gleichzeitig, diesen Arbeitsprozess nicht durch zu viele Fragen zu gefährden. Schließlich ist man gewissermaßen vom Schicksal zusammengeworfen worden, hat eine Arbeit in einem Zeitfenster zu verrichten, und niemand verlangt, dass man anschließend als beste Freunde auseinander geht.
Im Falle Bob Dylans war es so: Ich habe diesen rastlosen Menschen für ein paar Momente festhalten können. Er schreibt in seinem Buch, unsere Zusammenarbeit habe ihm wieder Boden unter den Füßen, ein Fundament gegeben, das er fast ein Jahrzehnt lang künstlerisch vermisst hatte. Das hat mich sehr gefreut – denn es ist immer noch etwas anderes, ob man etwas am Telefon gesagt bekommt oder aber in einem Buch liest.
Sind Sie nie nervös, wenn Sie mit Ihren Helden zusammenarbeiten?
Ich war nie nervös. Aber ich gebe zu, ein ähnliches Gefühl wie Lampenfieber gehabt zu haben. Ich finde den Begriff „nervöse Energie“ gar nicht so schlecht. Nervöse Energie spürt man immer und überall, wenn man ambitioniert ist. Mit ihr verhält es sich wie mit den meisten anderen Erscheinungsformen von Energie: Man kann sie lenken. Man muss sie lenken. Sonst kann sie zerstörerisch wirken. Erst wenn man Energie bändigt, kann Energie zu etwas Produktivem erwachsen. Und das wiederum setzt voraus, dass man mit Selbstbewusstsein in eine Situation hineingeht. Das ist im übertragenen Sinne eine Körpersprache, die gerade Menschen überzeugt, die aufgrund ihres Rufs beständig von Claqueuren umgeben sind.
Das leuchtet ein, aber wie überträgt sich das konkret auf Arbeitssituationen?
Wenn ich beispielsweise Stunden damit verbringe, die verschiedenen Spuren eines Songs zu mischen, dann gelange ich irgendwann an den Punkt, dass ich die Elemente, aus denen sich der Song zusammensetzt, intuitiv kenne, ich bin sozusagen ein Experte des Songs geworden. Ich bin dann wie ein Wissenschaftler, der sein Leben über dem Mikroskop verbringt. Ich möchte nicht gestört werden, ich bin eins mit meiner Welt. Ich bin konzentriert. Diese Konzentration wissen Leute wie Bono oder Bob Dylan zu schätzen. Sie wissen, dass ich mich bemühe, dass ich da bin.
Das ist vielleicht das Geheimnis meines Erfolgs, wenn Sie so wollen: Ich kümmere mich. Um den Song, um die Musik – und um den Künstler. Ich sehe meine Arbeit nicht als Job oder als Möglichkeit, mir einen Orden zu verdienen. Nur derjenige, der sich seiner Arbeit mit dieser Zärtlichkeit nähert, kann zu einem wahren Experten werden. Nur dadurch bringt man dieses Interesse an den Atomen und den Molekülen der Zusammenarbeit auf. Weil es einem nicht egal ist. Einen Tag oder ein Jahr später kann man sich vielleicht nur noch schemenhaft erinnern, aber in der energetischen Dichte der Zusammenarbeit steht man gewissermaßen dort, wo die Flamme am heißesten brennt.