Von Beginn an waten alle zeichenhaft im Blut
KRIEG DER PREUSSEN Andreas Kriegenburg inszeniert Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ am Deutschen Theater
Kriegenburgs Prinz ist aus der Zeit gefallen, ein Reiter ohne Grund und Boden
Der Krieg ist eine blutige Angelegenheit. Doch bei Andreas Kriegenburg, dem neuen Hausregisseur am Deutschen Theater, sieht er staunenswert schön aus. Wenn der eiserne Vorhang zu Heinrich von Kleists Preußenstück „Prinz Friedrich von Homburg“ hochgeht, schaut man in einen knallrot ausgeschlagenen Kasten, in dem Figuren mit Kerzenleuchtern symmetrisch angeordnet sind. Der Boden ist zentimeterhoch mit Wasser geflutet – von Beginn an waten alle zeichenhaft im Blut.
In der Mitte steht, vereinzelt und gesenkten Hauptes, der Prinz und träumt seinen Ruhmes-Traum. So wie ihn der 1982 geborene Ole Lagerpusch spielt, bleibt er in sich versunken, rein auf sich bezogen – ein jugendlicher Egomane, der das „ich“ laut ausruft oder auch mal stammelnd hintereinanderreiht. Einer, der kaum je seine Gesprächspartner anschaut und in dessen selbstberauschte Traumwelten keiner durchdringt.
Von dem Scherz, den sich die kurfürstliche Gruppe mit dem Schlafwandelnden erlaubt, behält er einen Handschuh zurück, der ihn als reales Traumüberbleibsel derart aus der Fassung bringt, dass er den Schlachtbefehl nur zerstreut entgegennimmt und die Reiterei zu früh ins Feld führt. So kassiert er zwar den Sieg, verstößt jedoch gegen die Order und soll dafür mit dem Leben bezahlen. Nach einem Wechselbad von gnadenflehender Todesangst bis zur heroischen Einwilligung in den eigenen Tod wird er für seinen Edelmut schließlich mit der Erfüllung seines Lorbeer-Traums belohnt.
Kriegenburg lässt die Szenen nahtlos ineinandergleiten und das Ganze auf anderthalb Stunden zusammenschnurren, wobei ein kurzes, gesichtverzerrtes Zähnefletschen zur Skizze einer Schlacht gereicht. Vorzugsweise stocksteif stehen die Schauspieler in langen, roten Kriegsherrenmänteln herum und klappern die Kleist-Verse eher hölzern herunter. Ihre Gesichter sind mit weißer Farbe zu unrührbaren Mienen gekalkt, verstaubte Puppen einer überkommenen Tradition. Kriegenburg verschiebt sie wie Spielfiguren auf einem unsichtbaren Schachbrett. Gelenkte sind sie, keine Lenker.
Trudelt der Prinz aus dem Standbild heraus, weiß man, dass er sich nicht mehr zurechtfindet im Gefängnis der Ordnung. Und weil er das lebendige Gesetz des Herzens gegen das starre Kriegsrecht hochhält, strauchelt er auf dem Wassergrund und wäscht sich das Gesicht zu einem menschlicheren rein. Doch alles bleibt dabei äußerlich, ausgedacht, gekünstelt. Geradezu preußisch die Regietugend, die die Schauspieler ins Korsett einer Formidee zwängt, die nichts als leblose Zeichen gebiert – ein blutleeres Spiel in Rot.
Die hohle Generalästhetisierung drängt auch den eigentlich formidablen Verwandlungs- und Verausgabungsperformer Lagerpusch zu Manierismen. Virtuos wechselt er die Gesichter des prinzlichen Irrwitzes, aber meist bleiben es aufgesetzte Grimassen. Im Gegensatz zu Gorki-Intendant Armin Petras, der seinen kahl geschorenen Homburg vor zweieinhalb Jahren zum „Böhse-Onkelz“-Sound wortwörtlich im Bühnen-Regen stehen ließ und ihn mit denkbarer Konkretheit in eine brandenburgische Gegenwarts-Steppe versetzte, treibt Kriegenburg den märkischen Stoff in die größtmögliche Abstraktion. Sein Prinz ist aus der Zeit gefallen, ein geschichtsloser Reiter ohne Grund und Boden, dessen letzter Ausruf seltsam resonanzlos klingen muss: „In Staub mit allen Feinden Brandenburgs“. Der zum rühmlichen Ende Gezwungene, dem der Lorbeer buchstäblich aufgedrückt wird, heult ihn irr geworden über die Rampe. Woran genau er irr geworden ist? Wir können es nur erahnen: Der Krieg ist eine blutige Angelegenheit, er war es, ist es, wird es immer bleiben. Erschreckend, wie schön der Fatalismus hier anzuschauen ist. ANNE PETER