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Archiv-Artikel

Mauergedenken bleibt Baustelle

Sony schenkt der Stadt 35 alte Mauerstücke. Was mit ihnen passiert, ist unklar. Am Checkpoint Charlie sollen Infotafeln mit Werbung aufgestellt werden. Wer sich dort präsentiert, ist offen

VON FRAUKE ADESIYAN UND MARTIN MACHOWECZ

Vor dem Sony Center stehen etwa 40 Menschen dicht gedrängt. Sie warten auf die Einweihung einer Ausstellung. Deren Name: „Berliner Mauer – Orte des Gedenkens“. Die Exponate sind Mauerstücke, die bis 1996 auf dem Grundstück standen, das Sony für den Center-Bau gekauft hat. Jetzt schenkt der Konzern die 35 mit Graffiti verzierten Blöcke der Stadt. Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) ist zufrieden. Sony-Geschäftsführer Serge Foucher auch: „Wir sind stolz, dass die Mauerstücke erhalten werden konnten.“

Es könnte ein guter Tag für die Gedenkstättenlandschaft der Stadt werden – wäre da nicht ein alter Streit um just diese Mauerteile. Mitstreiter ist ein Mann, der ebenfalls zur Einweihung gekommen ist – bewaffnet mit Megafon und Transparenten. Er heißt Erich Stanke und behauptet: „Das sind meine Mauerteile.“ Wenn er anfängt, seine Geschichte zu erzählen, muss er tief Luft holen. Sie ist kompliziert. „Sony hat die Mauerreste Weihnachten 1996 geklaut“, behauptet Stanke. Er sei bei einer Kontrolle 1990 im Ostteil mit Grenzsoldaten ins Gespräch gekommen und habe alles, was auf dem Grundstück stand, geschenkt bekommen. „Das kann ich mit Verträgen beweisen“, sagt Stanke und ruft nach seinen Anwalt, der in der Nähe steht. Stanke tut das oft, denn er will es jedem beweisen. Der Anwalt, Hanns-Oliver Plöger, blättert dann immer in seinem Ordner. Das dauert – Stanke prozessiert seit Jahren. Weil Stanke am Dienstag den Transport der Mauerteile zum Potsdamer Platz verhindern wollte, erwirkte Sony eine einstweilige Verfügung gegen ihn.

Für Ingeborg Junge-Reyer ist die Geschichte gegessen – sie sieht Sony und die Stadt Berlin im Recht und überlegt lieber, was man mit diesen Mauerresten anfangen könnte. Nur sechs davon stehen noch bis zum 21. August vor dem Sony Center – die restlichen werden eingelagert. Was mit ihnen passiert, ist unklar: Ein Konzept fehlt. Vielleicht dürfen sich die Partnerstädte Berlins bald über ein Stück Mauer freuen. Interesse hätten sie bekundet, so Junge-Reyer. „Außerdem werden wir im Rahmen des Gedenkstättenkonzeptes sehen, was man machen kann.“

Um die Frage, wie und ob etwas ins Mauerkonzept passt, wird auch etwas weiter östlich, gestritten: am Checkpoint Charlie. Nachdem vor zwei Wochen die dortige Mauerkreuz-Installation von Alexandra Hildebrandt geräumt wurde, will die Bankgesellschaft Hamm, der das Grundstück gehört, Tafeln mit Informationen zur Geschichte der Mauer aufstellen und mit Werbung kombinieren. Letzten Freitag hat sie beim Bezirksamt Mitte einen entsprechenden Bauantrag gestellt. Sie möchte einen Bauzaun und zwei Gerüsttürme auf das Gelände stellen. An den Bauzäunen und am unteren Ende der Türme soll über die Mauergeschichte informiert werden, der obere Bereich ist für Werbung reserviert.

Werbung über Gedenken

Diese unorthodoxe Kombination trifft nicht jeden Geschmack. Mit einer schnellen Genehmigung rechnet Bernd-Otto Rietzke vom Bezirksamt Mitte deshalb nicht. Es gebe enormen politischen Abstimmungsbedarf: „Da passiert nichts von heute auf morgen.“ Einer, der politisch mit abstimmen soll, ist Kultursenator Thomas Flierl (PDS). Sein Sprecher Diedrich Wulfert bestätigte gestern, Flierl werde am Verfahren beteiligt. „Allerdings können wir das Ganze nicht verhindern – das wollen wir auch nicht.“ Knackpunkt ist für ihn nicht die Frage, ob Werbung am Gedenkort platziert wird, sondern welche. „Wir werden uns hoffentlich mit den Besitzern auf kompatible Werbeinhalte einigen können.“ Wulfert betont vor allem den Nutzen, den der Senat aus der Werbung zieht. „Der Bau des Gebäudes, in dem das Museum des Kalten Krieges unterkommen soll, wird finanziell von dem Investor getragen. Dafür werden die Werbeeinnahmen benötigt.“

„Absolut sprachlos“ sei sie über die Idee, an diesem Ort Werbung zu platzieren, gibt sich Alexandra Hildebrandt ungewohnt wortkarg. Sie hat unterdessen in anderer Hinsicht die Initiative ergriffen und ein weiteres Haus am Checkpoint erworben. Den Altbau an der Friedrichstraße 44 habe sie Ende Juni der GSW abgekauft – nach zehnjährigen Verhandlungen. Das Haus will sie für ein eigenes Mauermuseum nutzen. „Es wird hier um Themen der deutschen Nachkriegsgeschichte gehen, noch ausführlicher als in der bestehenden Ausstellung.“