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Archiv-Artikel

Die Popularität des weiblichen Kugelbauchs

Sie schlägt sich durch, deshalb schlägt sie so ein: Alexandra Neldel spielt Lisa Plenske in der Sat.1-Telenovela „Verliebt in Berlin“. Heute läuft die hundertste Folge

VON SUSANNE LANG

Es ist der Bauch, der nicht will. Aber der Junge kämpft, eine Strähne seines schwarzen Vokuhila-Ponys klebt an der Stirn, ein Bein klemmt schon auf der Gartenmauer aus Backstein, jetzt muss die Speckrolle unter seinem T-Shirt nach oben. Vor ihm rollt der Kamerawagen auf den Schienen vorbei, die auf dem Gehweg gelegt sind. Die Sonne versteckt sich hinter einer Wolke. Neue Bildprobe. Es ist Außendrehtag, eine weitere Folge der Sat.1-Telenovela „Verliebt in Berlin“ (VIB), mitten zwischen Berliner West-Altbauten und neugierigen Mauergästen; hier trifft die Fernsehwelt unmittelbar auf die Realität.

Genau diese Wirklichkeit träumt sich die Telenovela ein bisschen schöner, einfacher. „Verliebt in Berlin“ erzählt die alte Aschenputtelgeschichte: eine Frau auf der Suche nach ihrem Prinzen, nur ist die Heldin diesmal nicht arm aber schön, sondern hässlich aber schlau. Sie schlägt sich durch, deshalb schlägt sie so ein. Wenn jede Zeit ihre Geschichten hat, so handelt diese Geschichte konsequenterweise nicht mehr von der sozialen Differenzierung über Geld und Herkunft, sondern über Oberflächencodes: Charisma, Ausstrahlung, Schönheit.

Über vier Millionen Zuschauer lockt „Verliebt in Berlin“ jeden Wochentag vor den Fernseher. Eine wichtige Markteroberung für den zuletzt im Vorabendprogramm erfolglosen Sender Sat.1. Jetzt macht er dem Soap-Dauerbrenner „Gute Zeiten Schlechte Zeiten“ auf RTL Konkurrenz.

„Ich ziehe die Figur aus“

Endlich, der Junge mit der Vokuhila-Frisur hat es geschafft. Breitbeinig sitzt er auf der Mauer und starrt auf einen anderen Bauch, den auch der Kameramann im Visier hat. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, beult er sich unter einem beigen Oberteil mit Blümchenmuster – der zurzeit wohl populärste weibliche Kugelbauch im Fernsehen. Es ist der Bauch von Lisa Plenske, der Hauptfigur aus „VIB“. Noch wartet sie auf den Drehbeginn und lächelt ein sehr breites Lächeln, punktgenau auf den Klick einer Digitalkamera. Bilder für und mit Fans. Einer der seltenen Abgleiche der Fernsehrolle mit der realen Welt.

Denn noch ist Lisa Plenske, die altmodische schüchterne Landpomeranze, die sich durch die Intrigen und den Möchtegern-Glamour eines Berliner Modelabels kämpft, während sie unglücklich in ihren Chef verliebt ist, nicht perfekt. Noch trägt die Schauspielerin Alexandra Neldel keine Zahnspange, noch hat sie die dicken Brillengläser in den Haaren stecken, nicht auf der Nase sitzen – Accessoires, die sie endgültig in Lisa verwandeln. Nur den Fatsuit hat sie angelegt, einen Anzug aus Silikon, der die Kleidergröße um zwei Nummern steigert und unvorteilhafte Fettpolster für die Kamera produziert.

Ihn trägt Alexandra Neldel unter ihren Lisa-Klamotten seit sie am Set ist. Und ihn wird sie später, nach Drehschluss, mit einem Handgriff wieder abnehmen. „Ein total erleichterndes Gefühl“, wird sie etwas später erzählen, als die Szene abgedreht ist, als eine Alexandra Neldel mit Kleidergröße 36 in Jeans und engem schwarzen Shirt in ihrem Wohnwagen sitzt, ihre blauen Augen müde blinzeln, aber trotzdem strahlen. „Ich ziehe die Figur Lisa Plenske abends einfach aus.“ Angst vor dem Gefühl, selbst irgendwann Konfektionsgröße 40 zu tragen? „Nein, darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht“, sagt sie, „aber wenn es passiert, dann ja schleichend, und ich habe meinen Teil dazu beigetragen“. Sie lacht und wedelt mit einem Schokoriegel, der vor ihr auf dem Tisch liegt. „Lisa ist unscheinbar. Nur weil sie nicht geschminkt ist und ein paar Pfunde zu viel hat, halten viele sie für hässlich“, erklärt Neldel. Dabei sei sie einfach ein normaler Mensch, wie man ihn auf der Straße sehe, der aber trotzdem Persönlichkeit habe.

Der Vokuhila-Junge ist verschwunden. „MAZ?“, ruft die Aufnahmeleiterin. „MAZ läuft!“ Gegenüber, auf der anderen Straßenseite quiekt und kreischt eine Mädchenstimme: „Pass doch auf!“ Lisa Plenske sitzt auf einem Fahrrad, ihr Knöchel ist verstaucht, Kollege Jürgen schiebt sie. Das Fahrrad wackelt. Er trägt sie. Stöhnt. Presst sich etwas von Diättipps heraus. Der Regisseur muss lachen. Bricht trotzdem ab. Ein Lichtwechsel im Bild. Die Sonne, mal wieder. Für einen kurzen Moment ist es still, nur zwei Absätze klacken über den Gehweg. Ein Mädchen in Glitzerjacke stakst vorbei, einen weißen Chichi an der Leine, Stiefeletten an den Füßen, zwei Nummern zu groß, sie knickt trotzdem nicht um. Viel älter als 12 Jahre wird sie nicht sein. „Lisa, Jürgen!“, ruft der Regisseur. Ein neuer Versuch. Drei werden es am Ende sein. Mehr wäre kaum drin in der kostengünstigen Produktion.

Nervt Lisa nicht langsam? Alexandra Neldel räuspert sich. „Manchmal ja, weil sie immer verständnisvoll ist, auch wenn sie die totale Breitseite abkriegt, sie ist immer das nette Mädchen.“ Telenovela sei Dank, genau das wird sich ändern. „Langsam wird sie etwas tougher“, sagt Neldel, „und das ist schon ganz gut so.“ Wird sie abnehmen? „Na, da sind wir uns noch gar nicht sicher.“ Schließlich stehe die Glaubwürdigkeit der Figur auf dem Spiel. „Jeder denkt, dass sie eines Morgens aufwacht und plötzlich die Schöne ist, aber Lisa Plenske wird so angenommen wie sie ist.“

Die Geschichte der Lisa Plenske ist nicht nur eine vom Erwachsenwerden, sie lebt eine zeitbedingte Verwandlung vor: vom unscheinbaren Mädchen zur coolen abgebrühten Frau; passend zu einer Zeit, die Depression und Krisenalarmismus mit den politischen Schlagworten Eigenverantwortung und Steigerung des Selbstmarktwerts bekämpfen will. Die Angela-Merkel-Story, auf jung und hip getrimmt. Eine Geschichte, die unserer perfektionierten Zeit so gut steht wie ein Fatsuit einer jungen Frau. Aber das Unperfekte hat noch Aufmerksamkeitswert. Bisher waren Telenovelas, Fernsehromane mit einem festen Ende, vor allem in lateinamerikanischen Ländern populär, angelehnt an den zurzeit so oft zitierten großen deutschen Nachkriegsmythos, hat sie den Import geschafft: aus dem hässlichen provinziellen Entlein wird die erfolgreiche, gutherzige, beflissene Kraft – die ohne großen Glamour, aber intelligent ihren Weg geht. Und so wird sich die unscheinbare Hauptfigur Lisa, getreu dem Gesetz der Telenovela, am Ende häuten und als Siegerin hervorgehen.

Die Sonne strahlt wieder auf die Straßenkreuzung. Der Regisseur blinzelt, rückt näher an den kleinen Monitor, auf dem man die Bilder live zur Drehzeit ansehen kann. „Wunderbar“, ruft er und klopft sich auf seinen Kugelbauch. „Iiihgitt, hast du gesehen?“, fragt seine Aufnahmeleiterin, „der Fatsuit unter der Strumpfhose, sieht aus wie richtig schlimme Cellulitis.“ Der Regisseur lacht. „So soll’s ja sein.“ Mittagspause. Alexandra Neldel nimmt ihre Zahnspange aus dem Mund, kramt ihr Handy aus der Tasche und geht in Richtung Wohnwagen. Sie kommt nicht weit. Ein Mann in roten kurzen Shorts, Turnschuhen und Tennissocken möchte ein Foto. Und die Lisa lächelt noch einmal.

Alexandra Neldel, so heißt die zweite Gewinnerin der Telenovela, schon heute. Mit „VIB“ hat auch die 29-jährige Berlinerin ihr Image verwandelt. Früher war sie einmal Zahnarzthelferin, dann spielte sie biestige Schönheiten in „Gute Zeiten Schlechte Zeiten“ und „Berlin Berlin“. Auch wenn sie nicht müde wird zu betonen, dass sie schlicht ihren Job mache; das bedeutet: jeden Tag eine Folge abdrehen. Lohnt sich der Mut zur Hässlichkeit in der glatten Oberflächenwelt der Soaps? „Also, hallo“, unterbricht sie mit großen Augen, „ich bin ungeschminkt und verkleidet, aber das bin immer noch ich, und so hässlich bin ich gar nicht!“

Das Aussehen zählt nicht

Schöner könnte man auch das Erfolgsgeheimnis der Rolle nicht beschreiben. Neldels Aufgabe besteht darin, unscheinbar zu spielen, ihre Haarsträhnen ins Gesicht zu zupfen, so als wollte sie sich verstecken, durch die Kulissen zu huschen, nicht zu schreiten, wie sie es zuvor am Set, in ihrem Kostüm auf der Straße vorgeführt hat, auch in den Drehpausen. „Alle achten darauf, wie ich spiele, nicht wie ich aussehe“, so sagt es Neldel, „das ist ein ganz großer Vorteil.“ Neldels großes Plus besteht darin, dass sie sich nach jedem Drehtag, bei jedem Fotoshooting und bei jedem Talkshowauftritt aufs Neue in die schöne Erfolgreiche zurückverwandelt, ganz automatisch, wenn sie ihre Zahnspange und den Fatsuit ablegt. Rollenangebote für das nächste Jahr hat sie bereits.

Und wie bei jeder Telenovela, darf auch bei Neldels Erfolgsgeschichte eines nicht fehlen: die Intrige, der Bösewicht. Es war – kein Wunder – Bild, die Neldel mit einem Ausschnitt aus einem vermeintlichen Porno auf den Titel hob. Die Vorgeschichte: Sat.1 war gegen die Jugendzeitschrift Yam vorgegangen, ebenfalls aus dem Hause Springer. Diese hatte Playboy-Fotos von Neldel gedruckt. Nacktfotos gehörten nicht in Jugendzeitschriften, so sah es Sat.1. Sie verstehe die Bild-Kampagne bis heute nicht, meint Neldel und runzelt die Stirn. „Ich würde nicht sagen, dass ich auf einmal so berühmt bin, dass ich in Bild stattfinden muss“, findet sie. „Es hat weh getan.“ Und dann schiebt sie die Lippen zusammen, zieht die Mundwinkel nach unten, zeigt kurz das Lisa-Plenske-Schmollen. Für all jene Fälle, in denen die Glamourwelt ungerecht ist.