Entscheidung Ost

AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH

Als hätten sie die Umfrageergebnisse vorausgeahnt, warnten die Generalsekretäre der ostdeutschen CDU-Landesverbände schon im Juni vor einer „Schicksalswahl“ und forderten „Signale“ und einen „zweiten Schwung“ für den Aufbau Ost. Nun liegen tatsächlich Union und das Linksbündnis im Osten fast gleichauf. Alarmierender Anlass, bei einem Treffen mit Generalsekretär Volker Kauder zu Wochenbeginn eine besondere Wahlkampfstrategie für die ostdeutschen Bundesländer zu vereinbaren.

Spitzenkandidatin Angela Merkel will nun „die Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit abholen“. Ihre mecklenburgische Herkunft soll nach dem Willen der CDU-Strategen als Ostbonus besonders herausgestellt werden. „Wir müssen mit dem Pfund wuchern“, sagte der Thüringer Generalsekretär Mike Mohring zur taz. „Man kann die Wahl nicht allein im Osten gewinnen, sie hier aber sehr wohl verlieren.“ Merkel soll nun besonders häufig hier auftreten.

„Die Ostdeutschen können eine Ostdeutsche zur Kanzlerin machen“, brachte der CDU-Bundestagsabgeordnete Günter Nooke gegenüber der Hannoverschen Neuen Presse die Absichten auf den Punkt. Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt begrüßte im Deutschlandfunk die spezielle Wahlkampfstrategie: „Man kann nicht mit einem rein westdeutsch aufgezogenen Wahlkampf glauben, man würde dadurch die ostdeutsche Wählerschaft besonders gut erreichen.“ Der Wahlkampf um die Ossi-Stimmen soll über die personelle Zuspitzung auf die ostdeutsche Kanzlerkandidatin hinaus die Erfolge der CDU-geführten Länder herausstellen. Emotionaler soll er geführt werden und unrealistische Versprechungen vermeiden. „Denn Glaubwürdigkeit ist ein zentrales Problem für alle Parteien in Ostdeutschland“, meint Mohring.

Die mangelnde Verankerung von Demokratie und Parteiensystem im Osten ist bekannt. Speziell die CDU muss aber derzeit auch den Abschied von der langjährigen Rolle als Hoffnungsträger verkraften. Ihren letzten durchschlagenden Erfolg errang sie 2002 bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Nach den Verlusten in Thüringen vor einem Jahr fiel besonders der Erdrutsch in Sachsen von fast 16 Prozent ins Gewicht. In der Landespartei wurde daraufhin heftig diskutiert, warum man nicht als Volkspartei verankert sei und an den existenziellen Sorgen der Menschen vorbei agiere.

Die bis heute etwa bei der NRW-Wahl zu beobachtende traditionelle Waage zwischen den beiden großen Volksparteien funktioniert im Osten nicht. Verluste der SPD schlagen sich nicht als Gewinne der CDU nieder und umgekehrt. Der Trend geht vielmehr in Richtung neuer Linkspartei und der kleineren Parteien, sofern die Wahl nicht ganz verweigert wird. Zweifel sind erlaubt, ob das CDU-Wahlprogramm hieran etwas ändern wird. Die Mehrwertsteuererhöhung wird ziemlich einstimmig abgelehnt. Ebenso wenig ist nach aller Erfahrung Angela Merkel im Osten sonderlich populär. Eine weitere Personaldiskussion könnte sich als kontraproduktiv erweisen, wenn Sachsens CDU-General Michael Kretschmer seinen Ministerpräsident Milbradt jetzt schon als künftigen Finanzminister ins Spiel bringt.

PDS-Wahlkampfleiter Bodo Ramelow frohlockte gegenüber der taz jedenfalls über die „Bewegung, die die Linkspartei in die deutsche Politik gebracht hat“. Die Wählerinnen und Wähler könnten selbst beurteilen, wie glaubwürdig die „unverhoffte Verostung“ von Frau Merkel sei. Hinsichtlich der Aufmerksamkeit für den Osten und der sozialen Gerechtigkeit bleibe die neue Linke das Original und einzige Wahl.