Privatuni zweifelt öffentliches Gutachten an

Die Hochschule Witten/Herdecke will nach dem vernichtenden Gutachten des Wissenschaftsrates ihre Forschung ausweiten. Für Unirektor Glatthaar geht es um den Konflikt zwischen privater und öffentlicher Universität

WITTEN taz ■ Die Uni Witten/Herdecke geht in die Offensive: Eine Woche nach dem vernichtenden Urteil des deutschen Wissenschaftsrates (WR) kündigte die Uni gestern an, ihren Forschungsbereich auszuweiten. „Wir wissen, dass wir da Defizite haben“, sagte Universitäts-Präsident Professor Wolfgang Glatthaar gestern. Die Uni ist Deutschlands erste und bis heute einzige vollwertige Privatuni.

Hintergrund ist ein Gutachten des WR, das der Medizinfakultät in einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Gutachten die Wittener Ärzteausbildung prinzipiell in Frage stellte. An vernünftiger Forschung mangele es der Uni, die Durchfallquoten seien zu hoch und die zu geringe Zahl der Professoren lasse keine zufriedenstellende Ausbildung zu.

„Bei der Forschung sind wir tatsächlich schwach auf der Brust“, gab Glatthaar zu. Aber schließlich sei Witten/Herdecke gegründet worden, um neue Maßstäbe in der Ausbildung der Mediziner zu setzen. Neu sei die anstehende Übernahme eines Forschungsinstitutes für operative Medizin in Köln-Merheim.

Die Kritik an der Ausbildung hält man hingegen für zum großen Teil unberechtigt. „Es ist schade, dass der WR nicht unseren ‚Output‘ bewertet hat“, sagte Glatthaar, „unsere Absolventen haben schließlich einen ausgezeichneten Ruf.“

Das belegte die Uni jetzt auch mit Zahlen, die im krassen Gegensatz stehen zu den vom Wissenschaftsrat ins Feld geführten Statistiken. Bis ins Jahr 2001 geführte Statistiken der Landesregierung bewiesen, dass die Wittener Medizinstudenten nicht nur schneller zum Studienerfolg kommen, sondern zudem auch noch überdurchschnittliche Noten aufwiesen.

Auch die vom WR bemängelte geringe Anzahl von vier Professoren im eigenen Haus hält Glatthaar für kein stichhaltiges Argument. „Unser Ausbildungskonzept hat sich bewährt.“ 107 Hochschullehrer sind an 22 Lehrstühlen bei den kooperierenden Kliniken tätig. Und die kämen ihren Betreuungsaufgaben mit mindestens demselben Engagement nach, wie die Dozenten staatlicher Hochschulen. Dies bestätigte auch Christian Schulz, einer von aktuell rund 300 Medizinstudenten: „Die Profs sind für uns jederzeit ansprechbar und legen bei Bedarf auch schon mal eine Nachtschicht ein.“

Die aktuelle Auseinandersetzung mit dem WR hält man in Witten für einen grundsätzlichen Konflikt zwischen privatem und öffentlichen Sektor. Das 70-köpfige Expertengremium unter Leitung des Berliner Charité-Neurologen Karl Max Einhäupl setzt sich aus Angestellten des öffentlichen Wissenschaftsbetriebs zusammen. Dort grassierten auch Ängste, eine private Einrichtung wie die Uni Witten/Herdecke könne zu weitaus geringeren Kosten und dennoch erstklassig ausbilden. „Ich komme mir vor wie der Konstrukteur eines Drei-Liter-Autos, den der TÜV anmahnt, er solle sich doch ein Vorbild nehmen an einem Zehn-Liter-Auto“, so Glatthaar.

Eine gute Nachricht konnte Glatthaar auch noch überbringen: Studenten können sich weiterhin für das Fach Humanmedizin einschreiben. Zwar ist die Erlaubnis des Landeswissenschaftsministeriums zunächst auf ein Jahr befristet, aber der größte Druck ist erst einmal genommen. HOLGER ELFES