: berliner szenenSchwarzkiefern
Musik aus Island
Zuerst war da dieser Vorhang. Etwas Flitterhaftes. Gaze vielleicht. Dahinter die Silhouetten der Band. Der Sänger mit obligatorischem Geigenstock, periskophaft nach oben abstehend. Kurz die Frage, ob der Vorhang das gesamte Konzert über unten bleibt – wir würden unten bleiben mit dem Vorhang. Aber nein, pünktlich zum ersten rauschhaften Applaus ging er hoch, der Vorhang.
Dahinter die jungen Isländer von Sigur Rós samt den jungen Isländerinnen von der Vorband Amina. Später die Videoprojektionen. Perfektester Lichteinsatz. Kaum Farben, dafür alle möglichen Kontraste zwischen Weiß und Grau. Wellen der Entzückung in den bestuhlten Reihen, in der Stehzone suchten Fachgespräche nach Filmzitaten zur Musik. Sieger wurde Kyle MacLachlan aus Twin Peaks: „Alles voller Schwarzkiefern. Beeindruckend.“
Vor uns langsam im Takt schaukelnde Röcke, neben uns der durchdringende Geruch der handgesprayten Band-T-Shirts. Auch ein Rausch. Das Stehen wurde anstrengend. Es blieben nicht viele Möglichkeiten zwischen Herumgeistern und Applauszollen. Die Musik wie aus Glas. Schneidend, klar und kalt. Kurz drohte sie in die erwartete Langeweile zu kippen – die Muster blieben sich gleich –, da dröhnte der erste Ton eines Echolots durch die Columbiahalle. Großer, geschichtsloser Jubel.
Wenig später setzte sich die Langeweile doch noch durch – die Band lebte beflissen ihren Hang zur Spieldose aus. Aber zum Schluss eine entscheidende Steigerung bei Sigur Rós, und auch der Vorhang durfte wieder zum Einsatz kommen. Mit dem letzten Stück nahte der kathartische Moment, auf den alle gewartet hatten. Gereinigt und geläutert verschwanden wir im Untergrund. RENÉ HAMANN