: Regiestreik an der Bismarckstraße
BABYSTREIK Kirsten Harms inszeniert „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss ohne jede Distanz zu dessen plumpen Vorstellungen von gebärfreudiger Weiblichkeit – und tritt als Intendantin der Deutschen Oper zurück
VON NIKLAUS HABLÜTZEL
Kirsten Harms mag nicht mehr weitermachen. Mit einer „persönlichen Erklärung“ wandte sie sich gestern Vormittag an die Presse, um mitzuteilen, dass sie „für eine Vertragsverlängerung über das Jahr 2011 hinaus nicht zur Verfügung“ stehe. Ohnehin rechnete niemand mehr damit, dass der Senat gewillt sein könnte, ihren Vertrag zu verlängern. Harms hat wohl gespürt, dass die Art und Weise, in der sie Opern versteht und liebt, den Forderungen nicht standhält, die an diese vermutlich schwierigste Kunstgattung heute gestellt werden. Zumal in Berlin, wo gleich zwei Konkurrenten ständig vormachen, wie es gehen kann: mit Gesangsfesten von Weltstars unter dem Diktat von Maestro Barenboim an der Staatsoper, mit wagemutig entschlossenem Regietheater und jungen Talenten an der Komischen Oper.
Nur gesungen wird an der Bismarckstraße ebenfalls auf hohem Niveau, doch es fehlt der letzte Glanz, der nötig wäre, diese Riesenbühne am Leben zu erhalten. Mit Manuela Uhl, Doris Soffel, Eva Johansson, Robert Brubaker und Johan Reuter sind die fünf, allesamt schwierigen Hauptrollen der Oper „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal glänzend besetzt. Aber ihre ganze Kunst verhallt wirkungslos im Saal. Hilflos in pathetischen Gesten verkrampft, stehen sie auf der Bühne herum und müssen ihre Stimmen, die so viel mehr könnten, immer nur quälen, um der Dampfwalze des Orchesters zu entkommen, die unter Ulf Schirmer stur ihre Runden dreht, bis auch der letzte Stolperstein platt ist, an dem sich szenische wie musikalische Fantasie entzünden könnte.
Gebärstreik hier wie dort
Es ist tragisch insofern, als Kirsten Harms es ganz sicher gut gemeint hat. Mit einer fast schon rührenden Naivität erzählt ihre Regie die Geschichte so nach, wie sie Hofmannsthal in seinem Märchen erzählt hat. Es handelt von einer Feentocher, die keine Kinder bekommen kann, und einer Armen aus dem niederen Volk, die keine haben will. Gebärstreik also hüben wie drüben. Doch politische Konsequenzen waren nicht Hofmannsthals Sache, stattdessen hängt symbolisch überladen das Überleben der Menschheit am Ausbleiben des Mutterglücks, weswegen die Fee zu den Menschen gehen, und die Arme die Liebe finden muss – so wie es eben ist, wenn Männer darüber reden, worin das Glück der Frau besteht. Viel unverdauter Freud steckt darin, und Strauss tat, was er konnte, um das Sexualgeraune seines Textautors zu pompöser Überlebensgröße aufzublasen. 1919 ist das Ergebnis in Wien uraufgeführt worden: Ein historisch durchaus interessanter Fall am Vorabend des feministischen Diskurses, der aufgegriffen und durchleuchtet werden könnte, wenn man denn unbedingt dieses vier Stunden lange Monstrum aufführen will.
Hemmungslos Zuckerguss
Aber Kirsten Harms kommt gar nicht auf die Idee, dass diese Art der kritischen, distanzierenden und eben darum auch aktualisierenden Reflexion ihre Aufgabe sein könnte. So war es mit Wagners Tannhäuser und mit Alberto Franchettis „Germania“, der Oper, die sie gleich zu Beginn ihrer Amtszeit voller Stolz dem verdienten Vergessen entriss. Sie liebt ihre Opern etwa so wie ein Kind seine Teddybären. Hofmannsthals Text muss deshalb gleich ein ewig gültiges Menschheitsdrama sein, und ihr Ehemann Bernd Damovsky unterstützt sie dabei nach Kräften ohne auch nur den Hauch eines Zweifels, ob sein schlichtes Kulissentheater heute noch irgendjemanden interessieren könnte. Er mag es gern düster, diesmal ist es eine Grabkammer in Marmor mit zwei Riesenfalken für die Feenwelt oben, ein Rastplatz für Penner unter einer Brücke für die Armen unten, und am Schluss ist die ganze Welt nur noch eine wüste Mondlandschaft. Zur Erlösung, die sich Hofmannsthal mit schwer nachvollziehbarer Logik als Überwindung der Selbstsucht der Frauen zusammenfantasiert hat, raucht es gewaltig aus Erdlöchern, der Himmel leuchtet und Strauss lässt sein Orchester hemmungslos Zuckerguss regnen.
Dann ist dieses schauerlich lange Stück Theater zu Ende, das, könnte man es ernst nehmen, ein Skandal wäre. Denn so plump sind Männerfantasien lange nicht mehr als Vorschlag zur Erlösung der Menschheit in die Welt hinausposaunt worden. Die Liebe macht manchmal blind, und an Kirsten Harms ist zu sehen, dass das auch für die Liebe zur Oper gilt. Nun wünscht sich Harms in ihrer Presseerklärung vom Senat „ein beherztes Vorgehen bei der Nachfolgesuche“.
■ Nächste Aufführungen: 2., 8. und 11. Oktober