: „Eine zweischneidige Sache“
Werner Rätz bewertet die neue Sozialdemokratie als Erfolg des Protests auf der Straße. Dort und nicht im Parlament muss um gesellschaftliche Mehrheiten gekämpft werden
taz: Herr Rätz, haben Sie Angst vor der Linkspartei?
Werner Rätz: Überhaupt nicht. Es ist doch gut, dass es ein Aufweichen der bisherigen Einheitsmeinung im Bundestag gibt. Insofern finde ich das Entstehen einer neuen Sozialdemokratie erst mal gut.
Rücknahme von Hartz IV, Einführung von Mindestlöhnen und Tobin-Tax – das Parteiprogramm liest sich wie der monatliche Rundbrief von Attac. Wird die Linkspartei Attac nicht das Wasser abgraben?
Wir freuen uns über jeden, der unsere Position übernimmt. Dass sich die Inhalte überhaupt ähneln, hat sicherlich aber auch damit zu tun, dass wir von der globalisierungskritischen Bewegung die Fragen erst eingebracht haben. In der Debatte um die Riester-Rente hatten wir noch vor fünf Jahren versucht, eine Diskussion um das Ende der Sozialsysteme zu lancieren. Damals hat uns niemand zugehört. Heute gibt es eine Partei, die unsere Positionen übernimmt und in den Umfragen immerhin bei über zehn Prozent liegt. Das ist doch ein Erfolg für uns und keine Konkurrenz.
Wird eine Linkspartei auch im Bundestag Attac noch von Nutzen sein?
Das ist eine zweischneidige Sache. Einerseits ist es für alle sozialen Bewegungen nützlich, wenn im Bundestag unterschiedliche Meinungen vertreten sind. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass Menschen das Gefühl bekommen: Nun sitzt da jemand im Bundestag, der unsere Interessen vertritt, nun müssen wir nicht mehr selbst dafür einstehen. Das wäre für uns als soziale Bewegung ein echtes Problem. So weit sind wir aber noch nicht.
Warum kandidieren Sie nicht?
Parlamentarische Arbeit kann dann sinnvoll sein, wenn gesellschaftliche Mehrheiten Reformprojekte tragen. Im Augenblick wird es bereits als großer Erfolg gesehen, wenn die Linkspartei auf über zehn Prozent der Stimmen kommt. Von Mehrheiten sind wir also noch weit entfernt. Ich halte es für wichtiger, um die Mehrheiten in gesellschaftlicher Bewegung zu ringen. Die Parlamentsebene kommt dann später.
INTERVIEW: FELIX LEE