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Archiv-Artikel

„Männer stellen sich da immer etwas an“

Die lesbische Radrennsportlerin Judith Arndt aus Leipzig gehört zur Weltspitze. Schade eigentlich, dass dies kaum jemand weiß

INTERVIEW JUTTA HEESS und MARTIN REICHERT

taz.mag: Frau Arndt, größer kann der Unterschied zwischen Männer- und Frauenradsport kaum sein: Die Tour de France der Herren ist ein riesiges Sportereignis, die Tour der Frauen wurde gerade zum zweiten Mal abgesagt und soll neu etabliert werden.

Judith Arndt: Das ist außerordentlich schade, gerade jetzt, wo man Tag für Tag miterleben kann, was für ein Riesenereignis die Tour de France der Männer ist, tut das umso mehr weh. An diesen Status werden wir nie heranreichen, da bin ich mir sicher. Aber das Interesse an der Tour de France der Frauen war schon größer als an anderen Rennen von uns. Wir wurden dann immerhin mal in der „Sportschau“ erwähnt.

Das ist im Vergleich zum medialen Aufwand bei der Männer-Tour doch lächerlich. Wurmt Sie das?

Ab und zu ist es schon ärgerlich. Wir haben dieses Jahr schöne Erfolge gehabt. Trixi Worrack hat zum Beispiel das Rennen „Primavera rosa“ – das weibliche Pendant zu Mailand–San Remo – gewonnen, und das stand nirgendwo, kein Artikel, noch nicht mal die Ergebnisse. Dabei ist das ein Weltcup-Rennen, ein echter Klassiker.

Frauenfußball dagegen boomt. Aber Sie sind doch auch Weltmeisterin?

Fußball ist an sich eine Sportart, für die sich sehr viele Menschen interessieren. Bei uns hapert es momentan einfach noch an der Zeit, die wir im Fernsehen zu sehen sind. Ich weiß aber auch nicht, was wir da falsch machen.

Vielleicht noch einmal den Stinkefinger zeigen, wie bei Olympia 2004? Das hat Sie bekannt gemacht.

Aber wie traurig, oder? Das wünscht man sich ja auch wieder nicht, dass es durch solche Angelegenheiten passiert. Im Nachhinein war es vielleicht ganz nützlich. Für uns alle.

Sie haben es dennoch bedauert?

Na klar, das war ja wirklich nicht geplant. Das macht man einfach nicht. Es wurde aber fälschlicherweise immer gesagt, dass ich den Finger gezeigt habe, weil meine Freundin nicht mit zu Olympia durfte. Man hat es darauf reduziert, dabei ging es mir um die Ungerechtigkeit der Nominierung und die Vorbereitungen, da liefen so viele Sachen schief …

Also eine hochkomplexe Geste …

Mmh. Wir machen zwei Sachen im Jahr mit dem Bund deutscher Radfahrer zusammen: Olympia und Weltmeisterschaft. Olympia war eine Katastrophe, und bei der WM habe ich nicht mal einen passenden Zeitfahranzug bekommen.

Das heißt, mit dem Bund deutscher Radfahrer haben Sie nichts zu tun – außer bei diesen Großveranstaltungen?

Nein, gar nichts. Wir trainieren nur im Team und starten mit unseren Betreuern und Technikern bei Wettkämpfen. Wir sind ein Profi-Team – mit dem BDR zusammen ist es dann eher amateurhaft.

Engagiert sich der neue Präsident des BDR, Rudolf Scharping, für den Frauen-Radrennsport?

Im ZDF-Sportstudio hat er neulich gesagt, dass er es schön fände, wenn bei den langen Tour-Übertragungen nicht immer nur Weingüter porträtiert würden, sondern auch einmal über den Frauen-Radsport berichtet würde. Das fand ich schon gut. Daraufhin hat dann auch tatsächlich jemand vom ZDF bei mir angerufen.

Und wie sieht ein Trainingstag von Ihnen aus?

Meistens treffe ich mich um zehn Uhr mit anderen Radsportlern aus Leipzig, wir fahren vier, fünf Stunden, dann gehen wir eine halbe Stunde zum Bäcker, danach gibt es Massage oder man ruht sich aus.

Eine halbe Stunde zum Bäcker …? Darf man als Radsportlerin essen, was man will?

Man muss sich richtig und gesund ernähren, wir können auch nicht Gänsebraten oder Döner direkt vor dem Rennen reinstopfen. Außerdem kann es zur Qual werden, wenn man essen muss und gar nicht will. Auf einer Rundfahrt vergeht einem durch die Anstrengung schon mal der Appetit. Aber man muss darauf achten, dass man genug isst.

Sonst bekommt man den berühmten Hunger-Ast?

Ja, genau, dann kommt der Mann mit dem Hammer.

Und wie oft kommt im Frauenradsport der Dopingkontrolleur?

Seit dem letzten Jahr gibt es eine neue Regelung: Bei den Männern müssen die ersten fünfzig Fahrer der Weltrangliste, bei den Frauen die ersten zehn Fahrerinnen einen Plan bei der UCI abgeben, in dem steht, was sie in den nächsten drei Monaten machen.

Wenn sich etwas ändert – so wie heute, ich sitze jetzt beim Interview – dann muss ich ein Fax schicken und sagen, dass ich nicht trainieren bin, sondern hier im Café. So bin ich jederzeit erreichbar, da immer eine unangekündigte Doping-Kontrolle kommen kann. Werde ich nicht aufgefunden, bekomme ich eine Verwarnung, bei zwei Verwarnungen gelte ich als positiv getestet. Als ich das erfahren habe, habe ich erst einmal geheult. Man ist ja gar nicht mehr frei.

Gibt es dennoch Dopingfälle im Frauenradsport?

Es gibt natürlich Fahrerinnen, die positiv getestet worden sind, aber nicht in dem Maße wie bei den Männern. Das ist ja klar, denn bei den Männern ist viel mehr Geld im Spiel. Die positiv getesteten Fahrerinnen kommen hauptsächlich aus der ehemaligen Sowjetunion. Sie dopen wahrscheinlich, damit sie dort rauskommen. Sie fahren meist in italienischen Mannschaften, und da ist es eh nicht so solide wie bei uns.

Apropos Urinproben: Was macht man als Radfahrerin, wenn einen während des Rennens ein menschliches Bedürfnis überkommt?

Wir fahren ja nicht so lange Strecken wie die Männer, aber wenn es nicht möglich ist, sich eine ruhige Ecke zu suchen, dann machen wir das wie die Männer: einfach laufen lassen.

Experten bescheinigen Ihnen ein ähnliches Leistungsprofil wie Jan Ullrich. Wären Sie nun ein Mann, wären Sie schon Millionärin?

Ach, wer weiß. Es gibt sicher auch noch mehr Männer, die das Potenzial von Jan Ullrich haben. Andreas Klöden zum Beispiel, aber die Leute haben sich jetzt festgefahren auf Armstrong gegen Ullrich. Wir versuchen alle unsere Erfolge immer als Mannschaftsleistung zu verkaufen, aber den Leuten wäre es lieber, wenn es nur eine Person wäre, die allein gegen alle fährt.

Aber Sie sind doch der Jan Ullrich der „Equipe Nürnberger“?

Eben nicht. Bei uns ist das gleichberechtigt. Wir haben ganz viele gute Fahrerinnen, jede gewinnt mal und jede hilft auch den andern. Das hält sich immer die Waage.

Es gibt keinen Konkurrenzkampf wie bei den Männern?

Das verstehen die Männer nie: Sie wollen lieber selbst gewinnen, aber auf Dauer bringt es niemandem was, wenn alle so denken würden. Es bringt uns viel mehr, wenn wir alles verteilen, dann ist jede mal dran, alle sind zufrieden, die Stimmung ist besser.

Klingt sehr harmonisch.

Wenn viele Frauen auf einem Haufen sind, gibt es natürlich auch mal Auseinandersetzungen, aber das sind eher persönliche Dinge und die haben nichts mit der Renntaktik zu tun. Es ist ganz gut, wenn ab und zu mal ein Mann dabei ist, zum Beispiel unser Mechaniker. Der neutralisiert das Ganze dann ein bisschen.

Wie gehen die anderen Frauen damit um, dass Sie lesbisch sind?

Ganz normal. Unsicherheiten oder so habe ich da noch gar nicht bemerkt.

In einer Männergruppe wäre das sicher ein Thema.

Ach, Männer stellen sich da auch immer ein bisschen an. Wenn man sich mit den Radsportlern unterhält, dann sagen die auch, dass sie es unangenehm finden, wenn man während einer Rundfahrt im Ehebett nebeneinander schlafen muss, nachher berührt man sich, iiihh, wie eklig! Das ist bei uns ganz anders, da gibt es keine Berührungsängste.

Gibt es deshalb vielleicht mehr geoutete Lesben als Schwule im Sport?

Ich weiß es nicht, ich bin ja kein Mann. Vielleicht liegt es daran, dass Männer intern in einer Gruppe ungern ihre Homosexualität zugeben, weil sie fürchten, dann einen schweren Stand zu haben.

Gemeinsam mit Ihrer Freundin Petra Roßner gehen Sie ja sehr offen mit ihrer Homosexualität um. Sie sind Schirmfrauen des CSD in Leipzig und Botschafterinnen der Gay Games.

Wir versuchen, uns ein bisschen zu engagieren. Aber beim CSD in Leipzig war ich dann gar nicht da, ich fuhr ein Radrennen.

Wofür lohnt es sich denn Ihrer Meinung nach zu kämpfen?

Die Homoehe ist ja immer noch nicht der Heteroehe gleichgestellt. Ich hätte es auch gerne leichter, wenn man als homosexuelles Paar Kinder haben möchte. Das ist ja auch unheimlich schwierig, sei es jetzt durch Adoption oder künstliche Befruchtung. Dass das hier nicht erlaubt ist, ist sehr schade.

Wollen Sie selbst Kinder haben?

Ja. Aber es ist ja im Prinzip nicht möglich, auf legale Art.

Wie sind Ihre Eltern mit Ihrer Homosexualität umgegangen?

Normal. Zu mir waren sie cool, ich weiß nicht, was sie dann zu Hause gedacht haben oder miteinander besprochen haben.

In welchem Alter hatten Sie Ihr Coming-out?

Kann man auch nicht so genau sagen. Ich habe mir über mein Lesbischsein nie groß Gedanken gemacht. Es war einfach immer so, jeder wusste das. Ich hatte da nie eine Krise oder so. Daher ist es für mich auch schwierig, mich in diese ganze Coming-out-Problematik hineinzudenken.

Sie waren früher bei der Bundeswehr, haben auch eine Grundausbildung absolviert.

Das war für mich eine Möglichkeit, mich auf den Sport zu konzentrieren nach dem Abitur. Und um Geld zu verdienen.

Sie sind Sportsoldatin?

Ich war Sportsoldatin. Nach der Grundausbildung musste man viermal im Jahr zum Dienst antreten. Da hat man dann auch nichts gemacht. Man hat mir dort die Möglichkeit gegeben, mich zu entfalten: Die Bundeswehr unterstützt den Leistungssport ganz gewaltig, aber im Nachhinein bin ich nicht stolz, dort gewesen zu sein.

Nicht?

Ich möchte nicht stolz darauf sein und möchte auch kein Soldat sein. Ich hätte keine Lust, für das „Vaterland“ in den Krieg zu ziehen.

Sind Ihre Eltern stolz auf Sie?

Ja klar! Meine Mutter ist zum Beispiel einfach nach Atlanta gekommen, um mich zu überraschen. Da habe ich mich schon sehr gefreut.

Haben Ihre Eltern nicht auch Angst um Sie? Ist ja schon auch ein gefährlicher Sport, wie der tödliche Trainingsunfall ihrer australischen Kollegin Amy Gillett am Dienstag gezeigt hat.

Ich weiß, dass meine Mutter ab und zu Beruhigungstabletten nimmt, wenn sie am Straßenrand steht. Ich bin dann immer ganz froh, wenn mein Vater dabei ist. Der ist die Ruhe in Person, meine Mutter regt sich zu sehr auf.

JUTTA HEESS, sportive 33, ist freie Journalistin und lebt in Mainz und Berlin. Martin Reichert, 32, ist taz-Autor und fährt in Berlin niemals Fahrrad