Wenn die Pianoseite klirrt

Der Komponist und Pianist Reinhold Friedl, Chef des Berliner Neuen-Musik-Ensembles Zeitkratzer, hat gleich drei neue Platten gemacht

Von Andreas Hartmann

Livekonzerte zu geben ist ja momentan keine einfache Sache. Normalerweise ist Reinhold Friedl als Chef des Berliner Neuen-Musik-Ensembles Zeitkratzer gern gesehener Gast auf diversen Festivals in der ganzen Welt, gerade aber pausiert dieser Betrieb fast vollständig. Daür ist der Komponist und Pianist jetzt auf anderen Kanälen weiterhin präsent. Gleich drei neue Platten erscheinen dieser Tage, bei denen er maßgeblich mitwirkt. Das ist selbst für einen dauerumtriebigen Geist wie Friedl eine ganze Menge.

Einmal gibt es da die Platte „Alloy“, die Friedl gemeinsam mit dem norwegischen Quartett Lemur eingespielt hat. Lemur besteht seit fast 15 Jahren und hat sich auf freie Improvisationsmusik mit ungewöhnlicher Instrumentierung spezialisiert. Horn, Flöte, Cello und Kontrabass kreieren hier Soundteppiche, an denen Friedl nun mit seinem Klavierspiel mitwebt. Dabei entsteht ein herrliches Gepfeife und Getute, umgarnt von zerquetschten Tönen, bei denen man nie so genau weiß, wer für diese verantwortlich ist. Klassische Klavieranschläge gibt es auch von Friedl so gut wie nie. Er bearbeitet viel lieber die Saiten seines Pianos, bringt sie zum Schwingen und Zittern oder klopft auf dem Instrument herum. Auch seine Mitspieler bemühen sich, ihren Tonerzeugern Klänge zu entlocken, die möglichst nicht rein sind, sondern unbedingt knarzen oder quietschen sollen.

Während das Projekt mit Lemur fast wie improvisierte Kammermusik klingt, geht es bei der Komposition „Krafft“, die Friedl auf seiner gleichnamigen Platte präsentiert, um einiges mächtiger zu. „Krafft“ war eine Auftragskomposition des französischen Staats, die 2016 in Paris uraufgeführt wurde. Den Mitschnitt des Konzerts gibt es nun als Tonträger. Friedl lässt hier gleich zwei Miniorchester miteinander antreten, um sein Stück zu performen. Sein eigenes, Zeitkratzer, darf ran, und das französische Ensemble 2e2m. 18 Musiker, die durchaus andeuten, dass sie gemeinsam einen höllischen Lärm veranstalten können, arbeiten sich durch das Stück und werden dabei von dem Dirigenten Pierre Roullier angeleitet. Der Witz dabei ist, dass nie alle gemeinsam spielen, sondern ständig variierende Instrumentengruppen ihre Töne ausspucken. Das hört sich dann so an, als würde ein sich in ständiger Bewegung befindender Klangkörper immer wieder ausatmen. Zwischen jedem Atemzug gibt es kurze Pausen, um die Spannung zu steigern. Man weiß nie, ob nun beim nächsten Ausatmen die Bläser trillieren oder eher die Streicher am Zug sind.

Dass man auch in kleiner Besetzung schön konzentrierten Krach machen kann, zeigt dann die Platte „Animal Électrique“ von Friedl, gemeinsam mit dem französischen Komponisten Eryck Abecassis. Friedl lässt hier die Schabgeräusche und die Töne seiner klirrenden Pianosaiten von den gern ziemlich noisigen Synthesizer-Attacken des Franzosen umspülen. Dass Piano und Synthesizer dabei immer organisch zusammenfinden, ist die große Kunst an der Duo-Einspielung. Dabei hält sich Friedl die meiste Zeit eher zurück und lässt die Synthesizer die Akzente setzen.

Die Situation mit Corona wird ja derzeit nicht unbedingt besser. Wahrscheinlich ist Friedl deswegen schon wieder dabei, den nächsten Schwung an Plattenveröffentlichungen vorzubereiten.

Lemur + Reinhold Friedl – Alloy (Sofa)

Reinhold Friedl – Krafft – (Zeitkratzer Productions)

Reinhold Friedl & Erick Abecassis – Animal Électrique (Editions Mego)