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: Sex als Trauma in knalligen Farben

„Antiporno“. Japan 2016, Regie: Sion Sono. Die DVD ist ab rund 14 Euro im Handel erhältlich.

Knallgelb sind die Wände im größeren Raum, knallrot in der davon nicht abgetrennten Seitentoilette. Ventilatoren in der Wand schaufeln nicht Luft, sondern gleißendes Licht ins Zimmer, wie der verlangsamte Flickerstrahl einer Filmprojektion strömt es zu Boden. An den Wänden vier Gemälde, eines ein Akt, die Kamera eilt durch den Raum, geblendet von Licht, folgt der Frau im gelben Raum, halb nackt ist sie erst, eilt zur Toilette und kotzt: Kyôko (Ami Tomite), ein Kunst-Literatur-Superstar, wie man später erfährt. Es klingelt, es kommt Noriko (Mariko Tsutsui), ihre Assistentin, die von Kyôko als Köter beschimpft und bald auf allen Vieren nackt an der Leine geführt wird, als wäre das ein Fassbinder-Film.

Und das ist nur der Beginn. Eine Reporterin taucht auf, flamboyant rot gekleidet, zwei weitere Frauen in ihrem Gefolge, eine hat punkiges Haar und einen lollipopbunten Dildo umgeschnallt, mit dem sie auf dem Bett Noriko, zu deren Vergnügen allerdings, penetriert. Kyôko geriert sich weiter als tyrannische Diva, hat zwischendurch, und wir mit ihr, Visionen einer Frau an einem in den Raum hineingeträumten Klavier. Und dann, wenn man sich an das knallbunte, hektische, stylische Chaos langsam zu gewöhnen beginnt, macht der Film einen Cut.

Ganz buchstäblich: Plötzlich zieht die Kamera auf, man sieht die Kamera, den erbosten Regisseur, das alles ist also ein Filmset. Kyôko ist nur die Hauptfigur in einem überkandidelten Porno. Und auf einen Schlag sind alle Rollen verkehrt. Es ist nun die Noriko-Darstellerin, die die Kyôko-Darstellerin, die als Porno-Actrice einen Anfängerin ist, kujoniert. Auch der Regisseur benimmt sich wie eine schlimme #MeToo-Albtraumfigur. Es geht danach alles, oder auch nicht alles, wieder auf Anfang. Es ist aber beileibe nicht der letzte selbstreflexive Schritt zurück, den Sion Sono in seinem Film unternimmt.

Sono ist einer der wildesten Berserker unter den Gegenwartsregisseuren. Er dreht oft zwei, drei Filme im Jahr, mal sind sie lang (vier Stunden lang war „Love Exposure“, mit dem er vor einigen Jahren auf der Berlinale seinen Durchbruch Richtung Festival-Mainstream erlebte), mal, wie dieser hier, eher kurz. Nichts davon ist wirklich zu Ende gedacht, was aber seinen Werken öfter als nicht zum Vorteil gerät.

Die Wirklichkeitsebenen purzeln durcheinander, Träume und Visionen sind nicht minder real als das Reale, Sion Sono kann durchgeknallt, das ist sein häufigster Modus, aber ganz still kann er auch. In „The Whispering Star“, dem direkt vor „Antiporno“ gedrehten Film, schickt er eine Androidin als Paketbotin mit großer Seelenruhe durch ein zukünftiges All.

„Antiporno“ ist eine Art Auftragsarbeit des legendären Filmstudios Nikkatsu. Legendär ist es nicht zuletzt, weil es sich von 1971 bis 1988 mit seiner „Roman Porno“-Reihe ganz auf die Produktion von Softpornofilmen verlegte, die aber vergleichsweise aufwendig produziert waren und ihren Regisseuren,ausschließlich Männern, große künstlerische Freiheiten ließen.

An diese Tradition hat das Studio seit ein paar Jahren den Anschluss gesucht. Eine Reihe renommierter Regisseure bekam ordentliche Budgets und künstlerische Freiheit in die Hand gedrückt, nach der bewährten Devise: Macht, was ihr wollt, Hauptsache Sex.

Und so macht Sion Sono – wie stets –, was er will. Einen Film, der über Sex als Trauma nachdenkt, über Machtmissbrauch, Demütigung, die finsteren Seiten des Business in knalligen Farben. Wobei Nachdenken vielleicht doch nicht ganz das richtige Wort ist für dieses sich zuletzt in einen Farb­rausch steigernde opernhafte Anti­porno­spektakel. Ekkehard Knörer