: Sie sind noch Punkrock
Die Ärzte sind stets vor allem auch eine Berliner Band gewesen. Und eine, die inzwischen von zwei Generationen gehört wird: Was die Eltern noch fasziniert und warum die Kinder das neue Album „Hell“ – erscheint am Freitag – ebenso mögen
Von Susanne Messmer
Als die Berliner Band Die Ärzte 1984 ihr erstes Album mit den Hits „Paul“ und „Zu spät“ herausbrachte, da war es, als würden im muffigen Proberaum der deutschsprachigen Punkmusik zum ersten Mal die Fenster geöffnet. Während der Punk bis dahin nämlich eher den Suff und die Aggression kultiviert hatte, mochten Die Ärzte es lieber, das alles zu verballhornen und charmant berlinernd über lustige Astronauten und Vollmilch zu singen.
Heute, 36 Jahre später, haben Die Ärzte ihre respektlose Obrigkeitsferne, die sie nur auf Berlins Straßen und Schulhöfen lernen konnten, perfektioniert. Wie kaum eine andere Band verstehen sie es, gleichzeitig die brennenden Fragen unserer Zeit zum Thema zu machen und pubertär zu blödeln – was manchmal zu peinlichen Situationen führen kann, wenn etwa der eigene Nachwuchs auf dem Weg zum Kindergarten lauthals singt: „Und wenn du in einen Spiegel blickst, wird erst mal rücksichtslos gewichst.“
Wer jetzt übrigens einwenden mag, dass Die Ärzte ja wohl genug Geld verdient hätten, dem kann man ganz einfach mit Bela B. antworten, der einmal gesagt hat, er gebe es ja zu, seine Prostata sei verchromt, also erst vergoldet und dann verchromt. Man kann aber auch darauf hinweisen, dass Die Ärzte ihre Vermarktung nie aus der Hand gegeben haben, dass sie ihre Konzerte seit 13 Jahren klimaneutral gestalten, dass sie noch nie Werbung für kommerzielle Firmen gemacht oder Kleider mit Logos getragen haben, dass sie noch nie am „Echo“, diesem Musikpreis, beteiligt waren – sich dafür aber für den Tier- und Umweltschutz engagieren und sogar in Hochburgen der rechtsextremen Szene in Mecklenburg-Vorpommern auftreten, und sei es unter Polizeischutz. Das ist schon sehr in Ordnung. Aber was sagen die Kinder?
„Die sind schon ganz schön alt, aber super“
„Ich freue mich total auf das neue Ärzte-Album, endlich! Ich höre das nächste Woche gleich bei Spotify, da lade ich mir das runter. „Morgens Pauken“ hatten sie ja schon vorher auf Youtube gestellt, das finde ich aber nur so ganz okay. Mein Lieblingslied wird das definitiv nicht. Ich finde, Bela B. singt da zu tief. Im Text geht es darum, wer ein Punker ist. So richtig verstanden habe ich das jetzt nicht. Sonst finde ich die Texte von den Ärzten oft ganz gut, auch wenn ich mir bei manchen Wörtern und so nicht sicher bin, was sie meinen.
„Lass reden“ ist mein Lieblingslied, das ist schon ziemlich alt. Da geht es darum, dass es einem egal sein soll, wenn sich andere über einen lustig machen. „Junge“ finde ich auch gut, da geht es um einen Jungen, der ständig gesagt bekommt, wie er sein soll. Die Ärzte-Texte haben meistens nicht viel mit mir zu tun, aber ich finde das interessant, darüber nachzudenken. Und „Stummer Schrei nach Liebe“, das ist auch schon alt, aber das finde ich auch super. Da geht es gegen Nazis und Rechte. Das finde ich wichtig, und da ist es mir auch egal, ob der Song schon älter ist oder dass die Ärzte auch schon ganz schön alt sind.
In meiner Klasse gibt es ein paar Jungs, die auch noch die Ärzte hören. Die Mädchen eher nicht so, die mögen mehr so neueren Pop, glaub ich. Schien jedenfalls so auf der Klassenfahrt. Aber so viel rede ich da jetzt nicht mit denen darüber.
Nächsten Sommer gehe ich mit meinem Vater auf ein Ärzte-Konzert, eigentlich war das schon für den Winter geplant, aber das wurde verschoben, wegen Corona. Wir haben schon Karten.“ Moritz, 11 Jahre
Protokoll: akl
„Hell“ heißt das neue Album der Ärzte, und ob sie damit das Gegenteil von Dunkel oder die Hölle meinen, ist wohl eine gewollte Uneindeutigkeit. Die CD gibt’s mit 64-seitigem Hardcover-Booklet. Oder pur, bloß die Songs, via Streamingportale. Ab Freitag. (akl)
„Hoffentlich geht es auch um Fridays for Future“
„Mir gefällt an den Ärzten, dass sie Lieder gegen Nazis und Rassismus machen und ernste Themen wie den Klimaschutz und den Tierschutz ansprechen – und dass sie trotzdem versuchen, dabei auch witzig zu sein. Ich finde den Humor von ihnen cool. Und ich finde auch toll, dass sie aus Berlin kommen, so dass man hier auch mal einer berühmten Band auf der Straße begegnen kann. Und weil sie berlinern, also ziemlich schnell quatschen können, alles auf den Punkt bringen und ziemlich frech sind.
Ich habe das Gefühl, dass sie sich noch sehr gut daran erinnern, wie es ist, ein Kind oder ein Teenager zu sein. Besonders bei Bela merkt man das, Bela ist voll der Quatschmacher. Man merkt den Ärzten gar nicht an, wie alt sie eigentlich schon sind.
Ich glaube, ich habe schon alle Lieder von ihnen gehört und kann viele von ihnen auswendig. Es geht mir deshalb langsam auf die Nerven, dass ich immer die gleichen Lieder hören muss. Außerdem findet mein kleiner Bruder auch nur ein paar Lieder von ihnen toll und ich muss die dann tausend Mal hören.
Ich hoffe also, dass die neuen Lieder auch ihm gefallen und dass ein wenig Abwechslung reinkommt. Ich hoffe, dass einige von den Liedern viel mit der jetzigen Situation zu tun haben, zum Beispiel mit Corona, Fridays for Future oder den Demos gegen Rassismus neulich. Und dass es die Ärzte trotzdem wieder schaffen, auch vom Ernst der Lage abzulenken, und einem Hoffnung machen können. Ich bin außerdem gespannt, ob sie vielleicht auch mal andere Musikinstrumente benutzen werden als Gitarre, Bass und Schlagzeug.“ Mei, 11 Jahre
Protokoll: sm
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