berlin viral: Das Böse ist zurück!
Es war nicht alles schlecht an Corona, ich sag nur: Autobahnen. Die waren eine Zeit lang herrlich leer. Ebenso der Himmel über Berlin: keine dröhnenden Flugzeuge, keine krankmachenden Chemtrails; bloß ein paar selten gechillte Vögel flogen von A nach C.
Vergleichsweise himmlische Ruhe herrschte auch auf den Berliner Straßen. Alle saßen zu Hause und hatten Angst, sodass die wenigen Systemrelevanten super durchkamen. Die in der Folge errichteten Pop-up-Radwege waren ein Geschenk der Krone an die Demut und die Vernunft. Der Kottbusser Damm, sonst ein analoges Killerspiel für Kfz und Lkw, wurde so zum utopischen Bullerbü-Erlebnispark. Lachende Eichhörnchenkinder wiesen den behütet durch die laue Brise schwebenden Liegeradfahrern den Weg. Die vom Abgas befreiten Bäume rauschten mit ihren Blättern das Lied von der Achtsamkeit aller Lebewesen dazu.
Doch die schöne neue Welt entpuppt sich nun als Illusion. Seit Hildmann und seine zehn Millionen Gerechten das Virus so gut wie besiegt haben, ist leider wieder Schluss mit lustig. Die ganze Nacht feiert das befreite Volk in den sommerwarmen Grünanlagen. Die Straßen sind so voll wie je zuvor. Und die Pop-up-Radwege werden wieder abgebaut. Irgendein Arsch von der AfD, dessen Namen ich nicht nenne, um dem Täter keine Plattform zu geben, hat dagegen geklagt, und Recht bekommen.
SA, SS, AFDAC. Selbst wenn man, die aufkommende Übelkeit ignorierend, versucht, sich in die Köpfe der Nazis reinzudenken, kommt man zwangsläufig an den Punkt, da einen eine völlig sinnbefreite Form der Niedertracht ratlos zurücklässt. Also nicht, dass das mit den Radwegen schlimmer wäre als an der Grenze auf Geflüchtete zu schießen. Aber es ist ein gutes Beispiel für die typische, rein destruktive Denkweise der Nazis. Denn sobald ich denke, irgendeine immanente und sei sie noch so kalte Logik müsse es doch geben und die müssten doch irgendetwas wollen, das sie wenigstens selbst für gut halten, komme ich stets zum selben Ergebnis: Sie verkörpern einfach nur das wahllos Böse. Sie wollen schlicht, dass mehr Radfahrer sterben. Es geht nicht um Ziele, sondern um die grundsätzliche Dekonstruktion jeder Menschlichkeit. Kindern am Strand die Sandburgen zerlatschen, Entenküken mit der bloßen Faust zerquetschen, gesunde Bäume fällen, gegen Tempolimits vor Grundschulen stimmen.
Das wird spätestens klar, wo sie auf lokalpolitischer Ebene alles torpedieren, was auch nur entfernt nach Licht, Leben oder Fortschritt aussieht. Sie wünschen sich alle anderen tot, die nicht haargenau so sind wie sie. Das gilt sogar für jenen älteren CDU-Typen, der seit Neuestem öfter mal das Rad benutzt. Nur, weil ein AfD-Scherge mit seinem Auto da eine halbe Minute schneller durchbrettern will. Das ist alles; so ticken die.
Dennoch wird in den semireaktionären Medien noch immer so getan, als wäre das Wählen dieser Partei eine Art Hilferuf. Wie ein verwirrter Jugendlicher, der aus Liebeskummer oder Weltschmerz eine Überdosis Schlaftabletten nimmt, aber gerade so viel, dass er eben noch gerettet werden kann. Der Magen wird ihm ausgepumpt, und endlich wachen die besorgten Eltern auf, und wenden sich seinen Problemen zu.
Die da lauten: Papas neue Freundin ist doof; statt der Coronadiktatur will er endlich eine (r)echte; zu viel „LGBT-Ideologie“, die ganze Landstriche verheert; zu viele Migranten, zu viel Gemüse, zu viele Farben, zu viele Radfahrer … Er ist aber nun mal nicht fünfzehn, sondern fünfzig, und darf leider schon wählen.
Uli Hannemann
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