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Archiv-Artikel

Übermut tut richtig gut

Am Wochenende rasten furchtlose Longboarder aus ganz Deutschland mit bis zu 65 Stundenkilometern den steilen Teufelsberg hinunter – trotz regennasser Fahrbahn. Der jüngste Teilnehmer des „Sk8 Downhill-Rennen“ war gerade zehn Jahre alt

VON MARTIN MACHOWECZ

Manche Bretter bedeuten die Welt. Für Carlo zum Beispiel: Das Longboard ist sein Leben. Der Steppke ist zehn Jahre alt, sieht jünger aus, ist klein und leicht. Er liebt seinen Sport: Downhill-Boarding. Carlo brettert mit einem verlängerten Skateboard Berge herunter. „Ich bin einer der Besten bei den Kleinen“, sagt er. Das ist noch zurückhaltend formuliert. Er ist einer der talentiertesten Downhill-Boarder in Berlin überhaupt.

Carlo steht auf dem Teufelsberg. Sein Blick ist fest und entschlossen. Vor ihm geht es eineinhalb Kilometer steil bergab. Das stört ihn nicht. Der Junge prüft den Helm. Dann setzt er sich langsam aufs Board. Die FahrerInnen sind im Stehen oder Sitzen unterwegs. Sie können selbst entscheiden, wie sie rasen wollen. Die Strecke ist nass, rutschig, und Carlo will sicher gehen, dass nichts passiert. „Ich habe keine Angst“, sagt er, und es klingt, als müsste er sich das selbst bestätigen. Dann fährt er los.

Tempo, Geschwindigkeit, das Board wird schneller. Bäume rauschen vorbei. Am Rand laufen ein paar Spaziergänger, Carlo sieht sie nur verwischt. Er rast mit 65 Sachen den Berg herunter. Irgendwann kommt er an. Alles ging wahnsinnig schnell. Er ist stolz. Und das war nur das Aufwärmtraining.

Kurz darauf regnet es. Die Haare des Jungen werden nass, er wischt sich das Wasser aus dem Gesicht. Dann rennt er los. Er will wieder hoch zur Spitze des Teufelbergs und mit den anderen fahren. Es ist ein großer Tag für Abfahrt-Skater. Das erste „Sk8 Downhill-Rennen“ lockt Rennfahrer im Alter zwischen zehn und 45 Jahren aus ganz Deutschland nach Berlin. Es ist Teil der Kill-Hill-Rennserie, die auch noch in Hamburg und Heilbronn Station macht.

Für den Zehnjährigen ist es ein Heimspiel, er trainiert jedes Wochenende hier. „Wir haben kaum Angst um Carlo“, sagt Angela Lorenz. Sie ist 42 Jahre alt, steht in Lederkombi am Fuß des Teufelsberges, ist Carlos Mutter und – wen wundert’s – auch Downhillerin. „Der Junge ist so mutig“, freut sie sich. Auch Vater Lorenz und selbst schon der dreijährige Bruder sind passionierte Abfahrtsskater. Sie hätten ihre Kinder ganz langsam ans Fahren gewöhnt, sagen die Eltern. „Jetzt beherrschen sie das sicher.“

Die Lorenz sind eine beeindruckende Familie. Aber das sind irgendwie alle, die sich den Teufelsberg hinunterstürzen. Im Sekundentakt rasen sie die Straße hinab. „Die kommen aber auch ganz schön angebrettert“, ruft ein älterer Herr mit kurzem grauem Haar seiner Frau zu, die gleich neben ihm am Straßenrand steht.

Dieter Hüttig ist 61 Jahre alt und für jeden Sport zu haben. „Hauptsache, es ist kostenlos“, sagt er. Downhill ist gratis, zumindest für die Zuschauer. Die rund 50 Fahrer zahlen je 35 Euro Gebühr. „Ich bin schon ein komischer Typ und gucke mir gerne so was an.“ Hüttig grinst über beide Ohren. Er ist zum ersten Mal beim Rennen, findet aber rasch Gefallen am Downhill. Nur das Wetter stört ihn.

Dann fährt wieder jemand mit Affenzahn den Berg herunter. Dieter Hüttig springt zurück. Es kracht laut. Ein Skater knallt genau vor dem Rentner in die Barriere aus Strohballen. „Starsky“ nennt sich der Fahrer, er ist 43 Jahre alt und ein Berliner Urgestein dieser Sportart. Er blutet am Knöchel, am Ellbogen, es sieht schlimm aus – und muss höllisch weh tun. „Jetzt geht es richtig los!“, schreit er.

Sie sind schon komisch, die Skater. Das merkt auch Rentner Hüttig. Der Karlshorster schüttelt immer noch den Kopf. „Ich könnte nicht da hoch. Zum Glück bin ich aus dem Alter raus.“ Ein kleines bisschen Lust aufs Selberfahren hätte er schon, das sieht man ihm an. Nur zugeben würde er das nicht.

Die Menschen entdecken das Downhilling für sich. Hüttig und seine Frau Angelika wollen in Zukunft öfter kommen. Auch, weil sie talentierte Leute wie Andy Fierch aus Regensburg noch mal sehen wollen. Der rast den Berg so schnell runter wie seine Vorgänger. Der Unterschied: Fierch kriegt die Kurve. Der Respekt vor dem Berg ist wichtig für ihn. „Man sollte schon Angst haben, bevor man startet. Alles andere wäre gefährlich. Außerdem brauche ich das Adrenalin.“ Der Mann sieht sportlich aus, ist gut gebaut, genau wie sein Board. Das hat er selbst gebastelt. Er fährt sich mit der Hand durch die Haare, dann guckt der 37-Jährige stolz aufs Brett. Fürs Skaten wird man nie zu alt, sagt er.

Das glaubt auch Frank Sommer. Der 43-Jährige organisiert das Rennen auf dem Teufelsberg. Mitfahren ist da natürlich Pflicht. Frank Sommer hat eine unaufgeräumte Frisur, er sieht gestresst aus. Die Haut in seinem Gesicht wirft Falten. „Es war ein Kampf, das Rennen zu organisieren“, erzählt er. Die Genehmigung, durch das Naherholungsgebiet Teufelsberg zu rasen, gab es nur, weil sich Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) persönlich einsetzte. „Dafür bin ich dankbar, denn ich lebe seit 20 Jahren für diesen Sport“, freut sich Sommer. Er ist eigentlich Kite- und Surflehrer. Fürs Fahren muss aber Zeit bleiben. Mit 15 Helfern schuftet er auf dem Teufelsberg. Er will es im nächsten Jahr wieder machen. Dann ist er 44. Aber man ist ja nie zu alt fürs Downhillen.