: AMERICAN PIE
Anstandsbesuch auf dem Olymp
Er kommt nun also doch. Barack Obama wird in Kopenhagen sein. In Dänemarks Hauptstadt wird am Freitag der Ausrichter der Olympischen Sommerspiele 2016 benannt. Zur Auswahl stehen Chicago, Rio de Janeiro, Tokio und Madrid. Der US-Präsident wird am Donnerstagabend schnell mal eingeflogen.
Obama wird bei der Präsentation Chicagos dabei sein, doch die Kür durchs Internationale Olympische Komitee, wenn IOC-Chef Jacques Rogge also bedeutungsschwer einen Briefumschlag öffnen und die Olympiastadt verkünden wird, dürfte der viel beschäftigte Obama verpassen. In der Heimat treiben ihn die Diskussionen um die Gesundheitsreform um. Deswegen hatte Obama bislang auch immer gesagt, er werde es nicht nach Kopenhagen schaffen. First Lady Michelle Obama sollte ihn vertreten. Doch je näher der Zeitpunkt der Kandidatenkür rückte, desto größer wurde der Druck auf Barack Obama.
Das IOC ließ durchblicken, dass es auf sein Erscheinen Wert legen würde. Die Weltregierung des Sports sieht sich auf Augenhöhe mit den mächtigsten Staatenlenkern. Nichts liegt aus Sicht des IOC näher, als dass ein Obama vorbeischaut, wenn es tagt. Rogge prophezeite, dass es am Freitag sehr eng zugehen werde. Da wäre es doch dumm, wenn Obama fehlen würde. Außerdem haben alle anderen Prätendenten nur die Allerwichtigsten nach Dänemark geschickt: Madrid lässt sich von König Juan Carlos vertreten, vom ehemaligen IOC-Boss Samaranch und Ministerpräsident Zapatero.
Rio schickt Präsident Lula da Silva, dazu Pelé, Extennisprofi Gustavo Kuerten und das halbe Kabinett. Tokio will mit einem Auftritt des neuen Premiers Yukio Hatoyama punkten. Ohne die Großen läuft beim IOC nichts mehr: Tony Blair hatte die Sommerspiele 2012 mit einer finalen Charmeoffensive und ausgeklügelter Hinterzimmerdiplomatie nach London geholt. Wladimir Putin war zur Kandidatenkür des olympischen Wintersportortes 2014 zum IOC-Kongress nach Guatemala gereist, um Sotschi zu puschen. Putin parlierte sogar, etwas holprig zwar, auf Englisch – und siegte mit Sotschi.
Dass Obama kommt, wird in den Reihen des Chicagoer Organisationskomitees fast schon als Sieg gewertet. Intern heißt es, man dürfe sich jetzt nicht zu siegessicher geben, um die Oberolympier nicht zu verstimmen. Man wolle nicht als arrogant gelten, vielmehr wäre Zurückhaltung angebracht. Chicago kann sich ohnehin verlassen auf die Strahlkraft Obamas, die ihm auch von diversen IOC-Mitgliedern, unter anderem dem Kanadier Dick Pound, ehemaliger Chef der Welt-Antidoping-Agentur Wada, bescheinigt wurde. „Dass Obama kommt, ist ein tolle Sache“, sagte Pound. „das Organisationskomitee Chicagos darf beglückt sein über diese großartige Geste der Unterstützung.“ Offenbar hat sich Pound von Barack Obamas Aureole des Machbaren bereits blenden lassen.
Fast alle Buchmacher sehen Chicago vorn, knapp dahinter Rio de Janeiro, etwas abgeschlagen rangieren Tokio und Madrid. Für Rio spricht, dass in Südamerika noch nie Olympische Spiele stattfanden. Der Kontinent ist ein weißer Fleck auf der Landkarte des IOC. Die Herren des Olymps lassen sich allerdings nur selten von Faktoren wie Verteilungsgerechtigkeit leiten. Sie deklinieren meist andere, gewinnbringende Details durch. So hat das IOC die Sicherheitslage in Rio bemängelt, auch fehlen Hotels. Hinzu kommt, dass 2014 die Fußballweltmeisterschaft in Brasilien ausgetragen wird. Das IOC fürchtet ein Schwächeln von regionalen Sponsoren angesichts der ungewohnten Fülle von Großereignissen. Lula da Silva und Pelé haben also noch allerhand zu tun, um in Vieraugengesprächen zu überzeugen.
Zu persönlichen Gesprächen mit IOC-Mitgliedern fehlt Barack Obama die Zeit. Trotzdem hat sich das Weiße Haus bei Expremier Tony Blair schlau gemacht, wie man das IOC im Schlussspurt bezirzt. Das finale Bequasseln der olympischen Gesellschaft müssen andere übernehmen, Obamas Frau Michelle und die professionelle Plaudertasche Oprah Winfrey. Wer zweifelt da noch an einem Sieg Chicagos?
MARKUS VÖLKER