: Kopflos in die Zukunft
FAUSTKAMPF Das olympische Amateurboxen wird so radikal umgebaut, dass es sich kaum noch vom Profiboxen unterscheidet. Deutsche Funktionäre finden das gut
MICHAEL BASTIAN, SPORTCHEF DER DEUTSCHEN OLYMPIABOXER, SETZT AUFS PROFIHAFTE AMATEURBOXEN, DAS 2016 IN RIO ZUR AUFFÜHRUNG KOMMT
AUS LONDON ANDREAS RÜTTENAUER
Ein großer Mann im Outfit der italienischen Olympiamannschaft schlendert an den Tribünen der Boxhalle im Londoner Ausstellungszentrum ExCel entlang. Er zieht die Blicke auf sich. Er schreibt ein paar Autogramme, bevor er sich auf die Tribüne setzt und den Kampf der Halbschwergewichtler Damien Hooper (Australien) und Marcus Browne (USA) verfolgt. Man kennt den Mann in der Szene. Clemente Russo heißt er. Er ist Boxer und eine der ganz wenigen großen Nummern, die das olympische Boxturnier zu bieten hat. 2007 ist er Amateurweltmeister geworden, vor vier Jahren in Peking hat er Silber geholt, in London ist der Schwergewichtler der ganz große Favorit, und in Rio soll er noch einmal die Blicke auf sich ziehen.
Die Aiba, der Internationale Amateurboxsportverband, will alles dafür tun, dass Russo dem olympischen Boxen erhalten bleibt. Der 29-Jährige, der für Modemagazine und seine Werbepartner so gerne seine nackte Brust zeigt, ist in Italien längst ein Star. In einem Film über seinen Aufstieg im süditalienischen Mafialand spielt er sich selbst. Nun soll er zum Weltstar werden. Am Montag war er zusammen mit Landsmann Domenico Valentino der erste Boxer, den der Amateurverband als Profi unter Vertrag genommen hat. Das olympische Boxen ist dabei, sein Gesicht zu verändern. Unter der Führung des Taiwanesen Wu Ching-kuo, der die Aiba seit 2006 anführt, soll ein eigener Profiverband mit dem Namen APB (Aiba Professional Boxing) etabliert werden. Wu will, dass man die Boxer kennt, die bei Olympia in den Ring steigen. Er will Helden.
Dafür soll soll auch der Kopfschutz geopfert werden. Ab 2014 sollen sich die Sportler wieder direkt ins Gesicht schlagen dürfen. Schon bei diesen Spielen marschieren die Athleten ohne Kopfschutz ein. Man soll ihr Gesicht sehen können. Gekämpft wird indes mit dem Boxerhelm. Schon seit zwei Jahren promotet die Aiba eine Art Weltliga, in der Amateure mit nacktem Oberkörper und ohne Kopfschutz boxen. In der World Series of Boxing (WSB) hat in der abgelaufenen Saison auch eine deutsche Staffel gekämpft. Unter dem Namen Leipzig Leopards sind vor allem deutsche Auswahlboxer angetreten. Einer von ihnen war Stefan Härtel. Der Berliner, der in London am Donnerstag im Mittelgewichts-Achtelfinale gegen den Iren Darren O’Neill kämpft, hat keine besonders guten Erinnerungen daran. Er kann sich sogar vorstellen, mit dem Boxen aufzuhören, wenn der Kopfschutz abgeschafft wird. „Die Gefahr, sich nach einen Kopfstoß einen Cut einzufangen und rausgehen zu müssen, ist viel zu groß“, sagt er.
Michael Bastian, Sportchef der deutschen Olympiaboxer, winkt ab. „Daran wird man sich schnell gewöhnen, wenn auf allen Ebenen ohne Helm geboxt wird.“ Er steht voll hinter den Reformplänen der Aiba. Er rechnet auch nicht mit einer größeren Zahl von Verletzungen. „Die Handschuhe, mit denen wir boxen, sind mittlerweile gut gepolstert“, sagt er. In zwei Jahren WBS habe man gerade einmal ein geplatztes Trommelfell zu beklagen gehabt. Aber das ist für ihn Nebensache. Die Reformpläne der Aiba sieht er beinahe als Heilsprogramm. Das klassische Amateurboxen, dem er immer verbunden war, bleibt erhalten. Daneben boxen die besten ehemaligen Amateure eine Profi-WM aus und bewahren sich das Recht, bei Olympischen Spielen starten zu können.
Für Bastian ist das nicht nur die Rettung des Amateurboxens, er sieht in der Reform auch eine goldene Zukunft für das Profiboxen. Das sei in Deutschland tot, meint er: „Sat 1 zeigt Kickboxen, Universum ist nach dem Ende des Fernsehvertrags tot, RTL zeigt nur die Klitschkos und auch Sauerland wird es in zwei Jahren nicht mehr geben.“
Ein gut geführter Weltverband mit fixen Kampfbörsen, die dann auch wirklich ausgezahlt werden, das sei eine ganz neue Perspektive für die Boxer. Außerdem gebe es einen Weg zurück. Wer im ersten Jahr als Aiba-Profi nicht zurechtkommt, darf zu den Amateuren zurückkehren.