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Schuld sind die Kanaken

Vom „China-Virus“ eines US-Präsidenten zum „Corona mit Migrationshintergrund“ eines deutschen Redakteurs scheint es, zumindest gedanklich, gar nicht weit zu sein.

Von Gastautorin Fatma Sagir↓

Ach, herrlich, die Karriere dieses Shit-Worts Migra­tionshintergrund: Jetzt heißen auch Viren so. Den besten Kommentar dazu hat eigentlich bis heute Harald Schmidt geliefert, als er vor dem (Migrations-)Hintergrund einer Posterwand moderierte, auf der ein Döner angetackert war, ein orientalischer Teppich und ein Tarkan-Poster. Jüngst erhielt ich den Link zu einem Kommentar des FAZ-Innenressort-Chefs Jasper von Altenbockum „Corona mit Migrations-Hintergrund“. „Die Kanaken sind schuld. War ja klar!“, hatte der Absender geschrieben. Grundtenor: Die „Rückkehrer“ aus der Türkei, dem Balkan, vor allem dem Kosovo, seien verantwortlich für den Anstieg der Corona-Infektionszahlen. Das seien ja keine normalen Touristen, die in Hotels, in denen man die Hygiene-Regeln streng einhielte, abgestiegen seien, sondern bei Familien, wo sich das nicht so leicht realisieren ließe.

Wenn ein Malte sein Praktikum diesen September in London absolviert und zurückkehrt, dann werden wir sicher keinen Leitartikel über die vielen nicht-touristischen Reisen lesen, durch die die Repu­blik angeblich gefährdet ist. Wenn aber ein Ardi seine Familie im Kosovo besuchen will, tja, dann, dann wissen wir, wer das Gemeinwohl in Deutschland gefährdet.

Am Ballermann besoffen feiern, an spanischen Küsten so tun, als ob immer noch Sommer 2019 wäre, ja, das ist dann doch den Deutschen vorbehalten. Denn nur die dürfen Sehnsüchte stillen, oder überhaupt welche haben. Wenn sich nur ein einziger ausländischer Tourist in Deutschland so wie Tausende Deutsche auf Mallorca benehmen würde, würde dieses Land in dem Schmutz ertrinken, den allein die „Bildzeitung“ über diesen Anlass auskippen würde.

In diesem „FAZ“-Kommentar erfahren wir außerdem, dass „der Kosovo nicht gerade zu den Sehnsuchtsorten der Deutschen“ gehöre. Sehnsuchtsorte werden übrigens gemacht. Von Menschen.

Die Sehnsucht der Deutschen. Von der habe ich schon ein paar Mal gehört. Deutsche Touristen, die mich in der Hotellobby in der Türkei fragten, wo denn „all die Afrikaner“ herkämen, die hier in einem Luxushotel Urlaub machten. Früher seien ja „nur Deutsche“ in diesem Hotel gewesen. Meine Antwort hätte sein sollen „Aus Afrika!“, aber das wäre ja langweilig, also sagte ich: „Das sind Briten. Die kommen alle aus London.“ Was tatsächlich stimmte.

Die Botschaft eines solchen Kommentars scheint zu sein: Touristen sind nur die, die in „klassische Urlaubsländer wie Griechenland und Spanien“, reisten. Alle anderen gehen nur in „Heimaturlaub“, was man zwar verstehe (wirklich großzügig), aber ihr Migranten, reißt euch doch mal für uns zusammen.

„Den Deutschen“ konnte man Baller­mann nicht verbieten. Auf „Heimat­urlaub“ aber sollte bitte verzichtet werden. Wenn sich Herr von Altenbockum einmal mit seiner Wortwahl befasst hätte oder gar der Lebenswelt von Migranten, dann wüsste er, dass Heimat durchaus etwas mit Sehnsucht zu tun hat. Dann wüsste er auch, dass es Deutsche gibt, deren Wurzeln nicht in Deutschland liegen. Wenn Reisen eine Gefahr birgt, dann für alle. Wenn Bürger zu Verzicht und Vernunft ermahnt werden sollten, dann bitte alle.

Diese verschwurbelte Art, Fakten leise und subtil und bisweilen offen und brachial mit Rassismus zu verklumpen, ist eklig. Und deshalb lohnt es sich, über einen doch sehr eigentümlichen Kommentar in einer Tageszeitung nachzudenken, die behauptet, hinter ihr stecke immer ein kluger Kopf.

Ich lebe in einer Stadt, die recht nah zu Frankreich liegt. Es ist ganz alltäglich, dass Menschen sich hier in ihr Auto setzen und rüberfahren. In die Vogesen, an den Atlantik zum Campen, runter ans Mittelmeer. Die bürgerlichen Viertel von Freiburg sind bereits im Frühsommer vollgestellt mit Camperwagen, und es sind auch in diesem Sommer wieder sehr viele Menschen rübergefahren, haben ihre Sehnsucht und ihr Fernweh gestillt.

Die Sehnsucht dieser Menschen ist offenbar in manchen Köpfen wertvoller, ihr Handeln einfach aus ihrer Schichtzugehörigkeit und ihrer ethnischen Zugehörigkeit immer vernünftig. Es kursieren aber Gerüchte über Bildungsbürger, die sich von der Maskenpflicht ärztlich befreien lassen, weil sie keine Lust haben, dieser Folge zu leisten. Zehntausende dieser und anderer Egomanen durften dann am vergangenen Wochenende auch in Berlin demonstrieren.

Will man eine Gedenkveranstaltung für die Toten des rassistischen Anschlags in Hanau abhalten, wird das mit Hinweis auf die Corona-Gefahren abgewiesen. Zu Recht, könnte man sagen, aber leider ist da ja die Sache mit Berlin, der Demo ohne Masken und der versuchten Stürmung des Reichstages.

Wer bedroht hier eigentlich wen und womit?

Mit Migrationshintergrund wurden bisher Menschen bezeichnet. Doch hier bedient sich der Kommentar eines uralten Vorurteils: Das Bild des Fremden, der Krankheiten einschleppt und die gesellschaftliche Ordnung und die nationale Gesundheit bedroht, ist so uralt wie Rassismus selbst. Diese „Corona-Welle“ habe einen „handfesten Migrations­hinter­grund“. Was denkt man sich so, wenn man da an seinem Schreibtisch sitzt und solche Ungeheuerlichkeiten in die Tastatur hackt? Was ist es, dass ein Journalist, eine überregionale Tageszeitung, sich diesen Text anguckt und entscheidet, ja, diesen Titel können wir auf der ersten Seite bringen? Ist es Kalkül? Ein wenig Provokation … schadet nicht? Empörungsökonomie jagt die Klick- und Verkaufszahlen hoch, und man „trendet“?

Solche Beiträge, in denen Fakten mit Vorurteilen und elitärem Habitus verkleistert als intellektuelle bürgerliche Sorge getarnt daherkommen, bedrohen unsere Gesellschaft. Sie fördern nicht die dringend notwendige Empathie und Sachlichkeit, mit denen wir Fragen sozialer Ungerechtigkeit und der enormen lebensbedrohlichen Herausforderung der Covid-19-Pandemie begegnen müssen.

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