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: Corona und die Neuordnung der Stadt

Die Entdeckung und Nutzbarmachung neuer, gern auch ungewöhnlicher Räume gehört mit zum Mythos des jungen Berlins. Ein ehemaliger Tresorraum wurde zum zeitweilig berühmtesten Technoclub der Stadt umfunktioniert. Leer stehende, halb verfallene Gebäude verwandelten sich in den Neunzigern in Kulturorte. Vieles gab es nur temporär, zur Zwischennutzung. Egal, dann zog man eben weiter.

Doch Raumforscher, wie sich der Tresor-Erfinder Dimitri Hegemann selbst nennt, haben es längst nicht mehr so leicht. Die verwunschenen Orte, die nur darauf warten, durch Kulturnutzung wachgeküsst zu werden, sind weitgehend aus der Innenstadt verschwunden. Und der Konzertveranstalter Ran Huber, der dafür bekannt ist, seine kleinen Indiebands gern in neuen, weniger etablierten Clubs auftreten zu lassen, klagt schon länger, dass diese immer seltener aufzutreiben seien. Jetzt, während der Pandemie, wo langsam wieder ein wenig kulturelles Leben den öden Alltag bereichert, kommt dieses Berlin für Entdecker wieder ein wenig zu sich selbst. Während etablierte Orte geschlossen und Partymeilen aus Mangel an Partys keine mehr sind, spielen plötzlich weniger bekannte Locations groß auf, und ausgerechnet in der Hasenheide suchen die Leute nach illegalen Raves. Es sind Bezirke wie Lichtenberg und Hellersdorf-Marzahn, die im Rahmen der Aktion „Draußen spielt die Musik!“ sagen: Wenn bei euch in den Szenebezirken nichts los ist, dann kommt doch zu den Kulturveranstaltungen, die wir auf unseren Freiflächen veranstalten.

Den Raum zu erkunden, das war dann auch schon fast das Motto des zweitägigen Festivals „Speicher II“ im Großen Wasserspeicher in Prenzlauer Berg. „Festival für ortspezifische Musik“ lautete der Untertitel der Veranstaltung, was bereits verdeutlicht: Hier geht es nicht nur darum, ungewöhnliche Musik zu explorieren, sondern auch einen eigentümlichen Ort. Was unter Coronabedingungen ein noch spezielleres Erlebnis ist. Allein schon dadurch, dass im Rahmen der Hygienevorschriften dafür gesorgt werden musste, dass Ausgang und Eingang nicht identisch sein durften, wurde ich mit den Besonderheiten dieses Ortes konfrontiert. Raus ging es über eine Wendeltreppe nach oben auf das Dach des ehemaligen Wasserspeichers. Von dort dann wieder gemächlich runter, in Richtung Straße.

In dem angenehm kühlen Gebäude waren die Performances und die Interaktion mit dem Publikum ganz auf die Gegebenheiten und Beschränkungen des Raums ausgelegt. Eine Bühne im eigentlichen Sinne gab es nicht. Die Musiker stellten sich irgendwohin zwischen dem Backsteingemäuer, um sie herum gruppierten sich die Zuschauer. Da alles leicht beengt war, auch wenn natürlich nur sehr wenige Gäste überhaupt zugelassen waren, wurde man dazu aufgefordert, sich auch mal in Bewegung zu setzen und nicht stur auf seinem Platz zu verharren, um auch anderen eine gute Sicht auf das Bühnentreiben zu ermöglichen.

Und so drehte ich meine Runden durch den Wasserspeicher mit seiner ungeöhnlich halligen Akustik. Überallhin verfolgte mich das Gedröhne und Geschabe, das etwa der Berliner Elektroniker im Zusammenspiel mit dem Free-Jazz-Schlagwerker Sven-Åke Johansson veranstaltete. Und bei jedem Schritt, den ich machte, veränderte sich das Klanggeschehen. Interessant war auch, dass ich dank des Festivals mal wieder in Prenzlauer Berg unterwegs gewesen bin. In diesem ausgehtechnisch längst totgesagten Bezirk. In den nächsten Tagen beginnt der Monat der zeitgenössischen Musik. Das Eröffnungskonzert wird in der Musikbrauerei stattfinden. Auch so ein Laden hier, in dem gerade so einiges passiert.

Die Stadt ordnet sich gerade neu. Wegen Corona. Andreas Hartmann