: Mit aller Macht
In ihrem Buch „Das Mühlenberger Milliardenloch“ zeigen Renate Nimtz-Köster und Uwe Westphal, dass sich Wirtschaft und Politik kaum aufhalten lassen, wenn sie wirklich etwas durchsetzen wollen
von Gernot Knödler
Schon am 27. August könnte das weltgrößte Passagierflugzeug in Hamburg landen. Dann feiert die Airbus-Fabrik an der Elbe Familientag mit Mitarbeitern und Angehörigen – der ideale Zeitpunkt, um den Airbus 380 mit großem Tamtam an der Elbe einzuführen. Ob sich ein solches Spektakel in den Zeitplan bis zur Markteinführung eintakten lässt, ist zwar noch ungewiss. Dass der A 380 in Hamburg gebaut wird, gilt aber trotz anhängiger Gerichtsverfahren als sicher. Wie Senat, Bürgerschaft und Airbus dafür getrickst und das Recht zurechtgebogen haben, zeichnen Spiegel-Redakteurin Renate Nimtz-Köster und Ex-Nabu-Mitarbeiter Uwe Westphal in einem neu erschienenen Buch nach.
Am Anfang stand das Problem, Platz für die Werkserweiterung zu finden. Denn der Flieger ist 80 Meter breit und so hoch wie ein achtstöckiges Haus. In zwei Himmelsrichtungen drohte Ärger mit benachbarten Dörfern, auf zwei Seiten grenzte die Fabrik ans Wasser. Da entschloss sich der Senat, 170 Hektar Süßwasserwatt in der Elbbucht Mühlenberger Loch trockenzulegen. 665 Millionen Euro kostete es, aus dem bis zu 13 Meter dicken Pudding Baugrund für eine Hightech-Fabrik zu machen. Dabei ist das Süßwasserwatt ein seltener Lebensraum und durch das Ramsar-Abkommen zum Schutz international bedeutsamer Feuchtgebiete ebenso wie durch die Vogelschutz- und die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union geschützt. Das Ramsar-Büro ließen Senat und Bundesregierung auflaufen. Bei der EU-Kommission machte Kanzler Gerhard Schröder (SPD) persönlich „zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“ geltend. Dabei hätte mit Rostock ein Ersatzkandidat ohne ökologische Probleme und mit industriellem Nachholbedarf bereitgestanden.
„Ein einziger Brief und das politische Schwergewicht des Bundeskanzlers hatten ausgereicht, um geltendes EU-Recht auszuhebeln“, schreiben Westphal und Nimtz-Köster. Ein Präzedenzfall, der ihnen zufolge künftig „europaweit geschützte Natur-Oasen dem beliebigen Zugriff von Wirtschaftsinteressen aussetzt“. Während des ersten Erörterungstermins zur Werkserweiterung im Februar 1999 wurde den Einwendern ein Brief zugespielt, in dem der Wirtschaftsstaatsrat Heinz Giszas Airbus-Chef Gerhard Puttfarcken eine Piste nach Wunsch zusagt. Obwohl die Werkspiste nach dem damals vorliegenden Plan nur auf 2.684 Meter verlängert werden sollte, versprach Giszas bei Bedarf eine zusätzliche Erweiterung um 501 Meter – bis in das Obstbauerndorf Neuenfelde.
Die Airbus-Gegner und ihre Anwälte werteten das als Zeichen dafür, dass gar nicht über den geplanten Werksausbau verhandelt wurde. Und der Verdacht, dass sich Senat und Airbus einer Salami-Taktik bedienten, bewahrheite sich: Im Juni 2002 beantragte Airbus eine neue Pisten-Verlängerung um 589 Meter.
Trotz einigem Hin und Her zwischen Baustopps und deren Aufhebung, der Feststellung der Rechtswidrigkeit durchs Verwaltungsgericht und der Aufhebung dieses Urteils durchs Oberverwaltungsgericht (OVG) blieb der Werksausbau im Zeitplan. Die Kläger, so das OVG in seinem Urteil, müssten das A-380-Projekt dulden, weil es „mittelbar gemeinnützig“ sei: Es schaffe bei Airbus 2.000 Arbeitsplätze und 2.000 weitere in dessen Umfeld. Die Bürgerschaft hatte zuvor den Werksausbau per Gesetz für gemeinnützig erklärt. „Das Gericht hat erstmals die klare Trennung zwischen gemein- und privatnützig aufgegeben“, zitieren die Autoren den Rechtsprofessor Ulrich Karpen. Die Klägeranwälte Peter Mohr und Rüdiger Nebelsieck wollen dagegen beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig vorgehen.
Bei der abermaligen Pistenverlängerung fruchtete hingegen der Druck von Politik und Springer-Presse zugunsten des A 380 nicht. Am 11. August 2004 verfügte das OVG einen Baustopp: Die neuerliche Verlängerung diene nur dazu, ein paar Exemplare der Frachtversion des A 380 ausliefern zu können. Das rechtfertige nicht die Enteignung der Bauern, über deren Obstgärten die Piste planiert werden sollte. Die Mühe des Senats, der eigens für eine Änderung des Bundesluftverkehrsgesetzes gesorgt und ein Enteignungsgesetz hatte beschließen lassen, ließ das Gericht kalt.
Hektische Aktivitäten setzten ein. Um die Grundeigentümer zum Verkauf zu überreden, bot der Senat immer höhere Summen, Bürgermeister Ole von Beust (CDU) erklärte sich bereit, mit den Bürgern Neuenfeldes zu diskutieren, was er zuvor stets abgelehnt hatte. Und Airbus drohte, das versprochene Auslieferungszentrum nicht zu bauen. Parallel lockte der Konzern mit Geld für die Dorfentwicklung und bot am Ende sogar einen Verzicht auf zukünftige Pistenverlängerungen an.
Schließlich gab der Bauer Cord Quast nach, dessen Grundstücke mitten auf dem geplanten Pistenfortsatz lagen. Dem Senat handelte er mit seinem Anwalt Michael Günther dafür einen 19-Punkte-Katalog „zum Schutz der Kulturlandschaft des Alten Landes und zum Erhalt des Dorfes Neuenfelde“ ab. Dass der viel nützen wird, bezweifeln viele Airbus-Gegner. Dem Senat ermöglichte Quasts Einlenken jedoch, die Piste an den Grundstücken der verbliebenen Eigentümer vorbei zu planen. Eine Ausnahmegenehmigung der Deutschen Flugsicherung, die Sicherheitszone zu verkleinern, macht’s möglich.
Westphal und Nimtz-Köster haben einen weiten Weg mit den Kontrahenten zurückgelegt. Ihre Erzählung birgt zwar wenig neues, ist aber sachkundig, detailliert, anschaulich und im doppelten Wortsinne aufregend.
Renate Nimtz-Köster / Uwe Westphal, Das Mühlenberger Milliardenloch, Edition Nautilus, 14, 90 Euro