Machtvolles Brummen und Rumoren

Maschinenmusik: Gamut Inc und Robert Lippok experimentieren in der Wilmersdorfer Auenkirche mit der computergesteuerten Orgel

Von Robert Mießner

Wenn die Bühne im Rücken des Publikums steht, dann ist schlicht etwas anders als gewohnt, doch wird nicht zwingend verkehrte Welt gespielt: Am Donnerstagabend waren in Wilmersdorf Kompositionen für die Pfeifenorgel der denkmalgeschützten Auenkirche zu hören.

Das altehrwürdige Instrument, es gilt nach der Orgel des Berliner Doms als das zweitgrößte seiner Art, wurde mit dem Computer gesteuert, was eine weitere seiner Anlage gemäße Besonderheit dieses Konzertabends ausmachte, den die Zuhörer mit dem Blick auf den leeren Altar verbrachten, während die Töne in den Raum fuhren, der sie schon mal vibrierend zurückwarf: Bassgesättigte Flächen waren da zu hören, tiefes Brummen und Rumoren wie auch dezentes Läuten.

Eingeladen hatte das Ensemble Gamut Inc um die Computermusikerin Marion Wöhrle und den Komponisten Maciej Śledziecki. Beide beschäftigen sich seit knapp einem Jahrzehnt mit den Möglichkeiten rechnerinduzierter Instrumentalmusik, sie scheuen sich nicht, das Wort „Maschinenmusik“ zu verwenden.

„Wir sind die Roboter“ hieß nach einem Lied der Elektropoppioniere Kraftwerk ein dreitägiges Festival, das Gamut Inc im Herbst 2016 in Prenzlauer Berg veranstalteten. Im selben Jahr hatten Wöhrle und Śledziecki bereits ihre Konzertreihe „Aggregate“ gestartet, deren erster Termin in der Auenkirche dann 2019 ein gemeinsames Konzert mit dem Elektronik- und Technomusiker Sutekh werden sollte.

In der diesjährigen Ausgabe von „Aggregate“ konnten bis dato nur zwei Konzerte stattfinden, eines Ende Januar in der St.-Antonius-Kirche in Düsseldorf mit dem Komponisten Robert van Heumen und kurze Zeit darauf eines in der Kölner Kunst-Station St. Peter mit dem kanadischen Klangkünstler Georg Rahi.

Der Auftritt vom Donnerstag war der erste nach der virenbedingten Konzertpause. In Wilmersdorf hatten sich Gamut Inc als Gast den Berliner Musiker und bildenden Künstler Robert Lippok eingeladen, der den Abend mit einem knapp zwanzigminütigen Stück in mehreren Segmenten eröffnete. Eine Art metallische Ballettmusik wurde das, mit wiederkehrenden, geloopten Motiven und Pizzicato-Momenten wie aus dem Konzertsaal.

Eine Art metallische Ballettmusik mit wiederkehrenden, geloopten Motiven und Pizzicato-Momenten

Danach folgte jeweils ein Beitrag von Marion Wöhrle und Maciej Śled­ziecki. Die Kompositionen von Gamut Inc waren deutlich geräuschhaft angelegt und realisiert. In der Śledzieckis sollte es zu einer Interaktion mit der kirchlichen Routine kommen: Punktgenau in dem Moment, als um 21 Uhr die Glocken läuteten, setzte der ruhigere Teil des Stücks ein. Und irgendwer musste natürlich noch den Punk geben: Einmal kippte eine Glasflasche um und klackerte rhythmisch über den Kirchenboden. Der Urheber oder die Urheberin war in dem spätabendlichen Halbdunkel des Kirchenschiffs nicht auszumachen.

Am Sonnabend sind Gamut Inc noch einmal mit einer begehbaren Klanginstallation in der Kapelle der Versöhnung in der Bernauer Straße in Mitte zu erleben. Nicht unweit der Elisabethkirche, in der Robert Lippok im vorigen Jahr ein Konzert mit dem Istanbuler Pianisten Kaan Bulak gegeben hat. Jener Kirche also, in der Ende der Achtzigerjahre in der DDR die linksoppositionelle Kirche von unten ihre Räumlichkeiten hatte.

Dreißig Jahre später, im August 2020 dann trug auf der Rückfahrt vom Wilmersdorfer Konzertort nach Prenzlauer Berg ein U-Bahngast ein sichtlich neues T-Shirt mit einem Slogan von damals: „Schwerter zu Pflugscharen“. Der junge Mann und seine Begleitung, sie seien an dieser Stelle gegrüßt.

Aggregate Sustain: Musik für computergesteuerte Orgel, Kapelle der Versöhnung, Bernauer Str. 4. Samstag, 15–18 Uhr