Widerstand im Waggon und auf dem Bahnsteig

REICHSBAHN Vergessen sind jene Bahnarbeiter, die Gegner des NS-Regimes waren. Eine neue Studie von Alfred Gottwaldt erinnert an sie

VON KLAUS HILLENBRAND

Reichlich spät begannen Historiker die Rolle der Deutschen Reichsbahn bei der Vernichtung des europäischen Judentums zu erforschen. Dabei war es Tausenden Bahnhofsvorstehern, Lokomotivführern, Wagenmeistern und Fahrplanbearbeitern mehr als bekannt: Die Reichsbahn deportierte zwischen 1941 und 1945 Millionen Juden in die Konzentrations- und Vernichtungslager. Ohne ihre bereitwillige Unterstützung wäre der Völkermord so nicht möglich gewesen.

Raul Hilbergs bahnbrechende Studie „Sonderzüge in den Tod“ zur Verantwortung der Reichsbahner für den Holocaust erschien auf Deutsch erst 1981 in einem Kleinverlag. Seitdem aber bemüht man sich, Wissenslücken zu schließen. Alfred Gottwaldt, Leiter der Abteilung Schienenverkehr beim Deutschen Technikmuseum in Berlin, hat dabei Herausragendes geleistet. Nun liegt seine umfassende Studie über die andere Seite der Reichsbahn vor: den Widerstand der Bahn-Mitarbeiter.

Gegen den Ehrbegriff

Deutlich wird, dass Widerstand durch planmäßige Sabotageaktionen nicht dem Ehrbegriff der Reichsbahner entsprach – schließlich waren diese in aller Regel stolz auf ihren Dienst bei der Bahn. Nur wenige deutsche Kommunisten und die polnischen Mitarbeiter der deutschen Ostbahn hatten derartige Vorstellungen nicht.

Widerstandsaktionen gab es dennoch. In den Bremserhäuschen der Güterwaggons lagen Flugblätter, die zum Kampf gegen die Nazis aufriefen, auf den Personenwagen waren Graffitis gegen Hitler gemalt. Mitarbeiter, die auf internationalen Strecken ihren Dienst taten, hielten Kontakt zur exilierten Opposition, etwa zu den verbotenen Gewerkschaften. So wurde die Eisenbahner-Untergrundzeitung „Fahrt-frei“ jahrelang illegal aus Amsterdam nach Deutschland geschmuggelt. Erst 1937 konnte die Gestapo die meisten der widerständigen Eisenbahner verhaften. Zum größten Teil überlebten sie das Nazi-Regime und beteiligten sich danach am Wiederaufbau der Gewerkschaften, doch kaum einer blieb in Erinnerung.

Aufseher im Untergrund

Beispielsweise der Gewerkschafter Lorenz Breunig, der 1945 im KZ Sachsenhausen ermordet wurde. Er hatte ein Netz von Nazi-Gegnern aufgebaut.

Das hatte auch „Reichsorganisationsleiter“ Hans Jahn getan. Er wurde 1935 verhaftet, irrtümlich wieder freigelassen und flüchtete nach Amsterdam, wo er zum engeren Kreis der „Fahrt-frei“-Macher gehörte. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht flüchtete er nach London. Von 1949 bis 1959 leitete Jahn die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands. Am meisten zu leiden hatten kommunistische Funktionäre. John Sieg etwa war Bahnsteigaufseher, arbeitete im Untergrund für die „Rote Kapelle“ und veröffentlichte die illegale Zeitung „Die innere Front – Kampfblatt für ein neues freies Deutschland“. 1942 wurde er festgenommen und gefoltert. Er erhängte sich in seiner Zelle.

Diese Biografien verdeutlichen, wie eingeschränkt die Möglichkeiten der Reichsbahner waren und welch großen Mut manche hatten – wie Fritz Wolzenburg, der als Reichsbahninspektor jüdische Zwangsarbeiter vor Razzien warnte und vor der Gestapo versteckte. Die Reichsbahner im Widerstand brachten keinen Deportationszug nach Auschwitz zum Stehen. Dass sie dennoch nicht alle willfährige Werkzeuge der Nationalsozialisten waren, darüber berichtet Gottwaldts Buch – eine Ehrenrettung für Menschen, die vergessen wurden.

Alfred Gottwaldt: „Eisenbahner gegen Hitler. Wiederstand und Verfolgung bei der Reichsbahn 1933–1945“. Marix-Verlag, Wiesbaden 2009, 20 Euro