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Was wir uns zu sagen haben

Es ist das Sommerhitprojekt des Jahres: Unter dem Titel „Crucchi Gang“ covern deutschsprachige Bands ihre eigene Songs auf Italienisch. Der musikalische Versuch, einander zu verstehen

Francesco Wilking wuchs auf in zwei Kulturen Foto: Universal Music

Von Marielle Kreienborg

Falko hat’s getan, Erlend Øye tut es: Ganz neu ist die Idee, dass Künstlerinnen und Künstler ihre Songs auf Italienisch aufnehmen, nicht. In diesem Sommer jedoch schlägt sich die Anziehungskraft des Landes, wo Menschen auf Balkonen musizieren, gleich bei einer ganzen Reihe deutschsprachiger Bands schöpferisch nieder. Als Crucchi Gang ziehen sie eine musikalische Direktverbindung von Berlin ans Mittelmeer, indem sie ihre eigenen Songs auf Italienisch einspielen.

So verwandelte die Indie-Band Von Wegen Lisbeth ihren Hit „Meine Kneipe“ kurzerhand in den Italo-Funk-Song „Il mio locale“. Die fünf Berliner, ihre Herkunft verrät sich am R à la tedesca (erschaffen aus den Tiefen des Rachens, nicht durch das Rollen der Zunge), haben ihn unter den wachsamen Ohren von Francesco Wilking und der musikalischen Leitung seines Bandkollegen Patrick Reising (Die Höchste Eisenbahn, Tele) aufgenommen.

Angeregt wurde das Projekt von der Musikmanagerin und Produzentin Charlotte Goltermann – bei einem Urlaub an der ligurischen Küste kam ihr die Idee. Zurück in Berlin, vertonte ihr Ehemann, der Musiker Sven Regener, dann eine italienische Version des Element-of-Crime-Klassikers „Weißes Papier“: „Am liebsten wäre ich ein Astronaut, / und flöge auf Sterne, wo gar nichts vertraut / und versaut ist durch eine Berührung von dir“. Zeilen, die man gern in jede Sprache dieser Welt übersetzt wüsste, weil sie immer nur dazugewännen.

Wilking hat die deutschen Sprachschätze der Gangmitglieder mit Unterstützung von Familie und Freunden ins Italienische übertragen, in dem Wissen, „dass es sich nie um Cover, sondern immer um Bearbeitungen“ handle, da, nicht nur im Italienischen, der ­„Tradutore“ (Übersetzer) stets auch ein „Traditore“ (Verräter) sei.

Seine Übersetzungen seien der Versuch, deutsche Sprachbilder interkulturell ­zugänglich zu machen und zu transportieren, „weil wir uns viel mehr zu sagen haben, als wir denken“.

Die italienische Interpretation „Il mio bungalow“ des Originals der Wiener Band Bilderbuch steht jedenfalls in den Startlöchern, Sommerhit des Coronajahres 2020 zu werden: „Perché non passi nel mio bungalow / Ho da bere per il late night show / Mamma cucina per tutti / Mamma cucina per tutti noi“.

Mama (im Italienischen mit doppel-m) kocht für uns alle – wer könnte diese Einladung ausschlagen? Wilking, dessen Mamma tatsächlich aus Italien stammt, glaubt an die Kraft der Musik, dort zu einen, wo vieles auseinander drängt: „Gerade angesichts der Schieflage in Europa, wo die Schere zwischen den Ländern und Kulturen immer weiter auseinander geht, war mir wichtig, zu zeigen: Wir sind eben nicht die Scheiß Deutschen, die sich abschotten, die Hand nicht geben und sich gegen Corona-Hilfen auflehnen“, sagt er. „Wir sind die Deutschen, die eine Platte auf Italienisch aufnehmen, um von einem Land zu erzählen, das mehr kann als Pizza, Chianti, Eros Ramazzotti.“

Als Versuch, die stereotypen Ländererzählungen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, zu überwinden, ist auch der Name Crucchi Gang zu verstehen. Ein, wie Wilking sagt, „sehr hässliches Wort zur Bezeichnung von Deutschen“ sei der Begriff „Crucchi“, der auf das serbokroatische kruh (Brot) zurückgeht und mit dem italienische Soldaten und Partisanen im Zweiten Weltkrieg deutsche Soldaten verhöhnten.

Die Crucchi-Gang färbt den Ausdruck positiv – denn die Deutschen, daran bestehe kein Zweifel, liebten Italien, seine Musik, seine Strände, sein Essen, jedoch, findet Wilking, sei „da auch immer so eine Art Überlegenheitsgefühl dabei“.

Der Musiker Sven Regener, Ehemann der Produzentin Charlotte Golter­mann, vertonte eine italienische Version

Viele der Gründe, die wir zu Sympathie- bzw. Antipathiebekundungen für Länder heranzögen, seien historisch bedingt, fährt er fort. So hätten sich etwa türkische Einwanderer in Berlin nur in bestimmten Bezirken anmelden dürfen oder seien die italienischen Gastarbeiter in den 60er und 70er Jahren zwar geduldet worden, aber nicht wirklich willkommen geheißen.

„Es gab Bars und Restaurants, an deren Eingangstür stand: ‚Kein Zutritt für Italiener‘. Das muss man mit denken, wenn man über ‚Klein Istanbul‘ redet oder darüber, dass jeder immer nur unter seinesgleichen rumhängt“, so Wilking, der in der Kleinstadt Lörrach selbst inmitten von Fabriken und Gastarbeitern aufwuchs.

Am 4. September erscheint das Album „Patate im Wunderland“, bis dahin veröffentlicht die Crucchi Gang auf ihrer Website Lyric-Videos ihre Lieder, die sich bestens zur Vorbereitung auf den nächsten Italienurlaub eignen: „Mi chiami al cellulare / Mi chiedi vieni al mare?“

Und wer weiß: Vielleicht singt im kommenden Sommer eine mysteriöse Terroni-Gang ihre italienischen Songs in deutscher Sprache ein – möglicher Albumtitel „Pasta e patate“.

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