berliner szenen: Ein Käfig aus zwei Körben
Es ist noch nicht lange her, da wurde einer guten Freundin einfach mal ihr Rucksack samt Schlüssel, Handy und Geldbeutel aus ihrem Fahrradkorb geklaut. An einer roten Ampel mittags am Kotti. Okay, das schockiert jetzt nicht allzu sehr. Leider kennt man solche Geschichten. Vor allem vom Kotti.
Seitdem meiner Freundin ihr Rucksack geklaut wurde und sie daraufhin das Haustürschloss auswechseln, ein neues Handy kaufen, Personalausweis und EC-Karte neu beantragen musste, macht sie es anders: Sie schließt ihren Rucksack mit dem Fahrradschloss an den Fahrradkorb. Krasse Sache, dachte ich, bis ich heute noch eine krassere Sache sah: Vor mir auf einer Straße in Schöneberg fuhr eine ältere Frau Fahrrad. Erst dachte ich, dass sie einen Papagei oder ähnliches Getier spazieren fahren würde. Die Frau hatte nämlich einen Käfig auf ihrem Gepäckträger montiert – und in diesem Käfig war etwas Buntes. Genauer konnte ich es nicht erkennen, bis die Ampel auf Rot wechselte und ich mit meinem Fahrrad der Frau mit dem Käfig näher kam. Als ich nah genug dran war, traute ich meinen Augen nicht. Die Frau hatte tatsächlich zwei Fahrradkörbe wie die Brothälften eines Sandwichs aufeinandergelegt, womit ein großer vergitterter Hohlraum entstanden war. Die Enden der Fahrradkörbe hatte sie mit zwei Vorhängeschlössern fixiert. Und in dieser käfigähnlichen Konstruktion transportierte sie keinen Papagei, sondern einen bunten Rucksack. Ich wollte schon die Frau fragen, was ihr beim Fahrradfahren geklaut wurde, dass sie solche Geschütze auffahren musste, da sprang die Ampel aber auf Grün und die Frau düste mit ihrem Käfigkorb davon.
Wenn ich meine Freundin treffe, der mittags am Kotti ihr Rucksack geklaut wurde, werde ich ihr von dieser Szene erzählen. Ich bin gespannt, was sie davon hält.
Eva Müller-Foell
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