Thüringer Spezialitäten

REGIERUNGSBILDUNG Die Entscheidung der SPD für eine Koalition mit der CDU ist eine landespolitische

■ Die Brandenburger SPD hat am Donnerstag erste Sondierungsgespräche begonnen. Am Morgen verhandelte Ministerpräsident Matthias Platzeck mit der Linken, danach stand der bisherige Koalitionspartner CDU auf dem Plan. Beide Parteien kommen als Koalitionspartner in Frage. Bei der Landtagswahl am 27. September erreichte die SPD 30,2 Prozent, die Linke 29,5, die CDU 22,3 Prozent. Im Landtag vertreten sind auch die Grünen mit 5,9 und die FDP mit 6,3 Prozent. Zuvor hatte Platzeck bereits erklärt, was für die SPD „nicht verhandelbar“ sei: ein gesetzlicher Mindestlohn und ein Schüler-Bafög.

■ Für Rot-Rot in Brandenburg hat auch die Linke den Weg geebnet. In einem „Konsenspapier“ ist die Partei auf die SPD zugegangen. Prinzipiell, heißt es, ist alles verhandelbar.Noch etwas spricht für Rot-Rot. Anders als Christoph Matschie hat Matthias Platzeck in Brandenburg die ganze SPD im Auge. Und er weiß: Wer links blinkt, kann kaum mehr rechts abbiegen. WERA

AUS ERFURT MICHAEL BARTSCH

Das große Transparent „Schwarz-Rot ist unser Tod“, mit dem die Thüringer Jungsozialisten ihren Landesvorstand in Erfurt empfingen, nutzte nichts. Auch eine Vier-Punkte-Erklärung der Grünen, die am Mittwochabend noch während der entscheidenden SPD-Vorstands-Sitzung zumindest ein „Ja, aber“ für Rot-Rot-Grün signalisierte, lief ins Leere. Buchstäblich fünf nach zwölf trat der Landesvorsitzende Christoph Matschie vor die wartenden Journalisten und verkündete das Ergebnis: Mit 18 gegen 6 Stimmen habe der Landesvorstand entschieden, förmliche Koalitionsverhandlungen mit der CDU zu beginnen.

Es folgte ein heftiges „Buuh“ der Jusos. Denn nach dem Debakel bei der Bundestagswahl und den darauf folgenden deutlichen Signalen aus der Partei für ein Linksbündnis war eine Öffnung der SPD für die erste rot-rot-grüne Koalition auf Landesebene erwartet worden – im Saarland, vielleicht in Brandenburg und vor allem in Thüringen.

Der SPD kommt dort eine Schlüsselrolle bei der Regierungsbildung zu. Mit einem Ergebnis von 18,5 Prozent bei der Landtagswahl vor rund fünf Wochen konnte sie sich zwischen einer Koalition mit der stark dezimierten CDU oder einer knappen Mehrheit mit der Linken entscheiden. In den Sondierungsgesprächen, deren dritte und letzte Runde gleichfalls am Mittwoch stattfand, waren die Grünen zur Stabilisierung einer Mehrheit jenseits von CDU und FDP hinzugezogen worden.

Im Landesvorstand hat sich die Linie von Matschie und Geschäftsführer Jochen Staschewski durchgesetzt. Trotz des im Wahlkampf propagierten Wechsels lagen deren Sympathien von vornherein bei der CDU, auch wenn Matschie einräumte, dass „der weitestgehende Wechsel der zu Rot-Rot-Grün gewesen wäre“. Ein „Politikwechsel findet nicht zu 100 Prozent statt, aber in hohem Maße“, ergänzte der designierte Wirtschaftsminister Matthias Machnig.

Plötzlich entdeckt die Thüringer SPD, dass sie mit der Union „80 Prozent ihrer Ziele“ verwirklichen könne. Im Gegensatz zu Linken und Grünen habe die um ihren Machterhalt bangende CDU klare Zugeständnisse gemacht, so Matschie. So werde es in der Familienpolitik die geforderten 2.000 Erzieherinnenstellen in Kitas mehr geben, würden erneuerbare Energien ausgebaut und ein Leitbild für das „Kulturland Thüringen“ erarbeitet.

Andere vermeintliche Zusagen der CDU schrumpfen beim näheren Hinsehen allerdings schnell. Statt einer längeren gemeinsamen Schule für alle soll es auf Antrag Modelle der Gemeinschaftsschule geben. Und statt Mindestlöhnen sollen Appelle an Arbeitgeber zur Tariftreue helfen. Dafür rettet die SPD nicht nur die abgewählte CDU, sondern hat pikanterweise auch erreicht, die Hälfte der Fachminister zu stellen – dem Vernehmen nach die vier Unterhändler der Sondierungsgespräche.

Als entscheidende Gründe für die Absage an Linke und Grüne führt der Matschie-Flügel der Thüringer SPD immer wieder die Unzuverlässigkeit von Linken und Grünen und die Ministerpräsidentenfrage an. Eine Koalition mit ihnen wäre zwar „eine wünschbare Option, aber nicht verantwortbar“, so Matschie. Die kommenden fünf Jahre wären sonst zu einer „Selbsthilfegruppe Bodo Ramelow geworden“, spielte Matschie auf den linken Spitzenkandidaten an. Außerdem habe sich die Linke am Mittwoch geweigert, den Satz „Die SPD stellt den Ministerpräsidenten“ zu unterschreiben.

Bei einer handlungsfähigen Bundes-SPD hätte sich Matschie vielleicht anders entscheiden müssen

Ramelow wiederum hält diese eine Forderung für „arrogant“ – und für einen Verstoß gegen die vor zwei Wochen getroffene Absprache, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu verständigen. Deshalb habe er nach Vieraugengesprächen mit Matschie und der Grünen-Landeschefin Astrid Rothe-Beinlich in der Vorwoche offen seinen Verzicht auf eine Kandidatur erklärt, die der stärksten Fraktion eigentlich zustünde. Die SPD aber habe nur ein „unwürdiges Schauspiel“ abgezogen, wild Kandidatennamen gestreut. Linken-Landeschef Knut Korschewsky nannte die Entscheidung der SPD einen „Wahlbetrug erster Klasse“.

Auch die Grüne Rothe-Beinlich spricht enttäuscht von „Theater“. Die SPD traue sich selbst nicht und flüchte nun unter das Dach der CDU. Ob die Grünen sich zu teuer verkauft hätten? „Das war kein Spiel“, so Rothe-Beinlich, „das hätte bundesweit ein Zeichen setzen können“.

Der heftigste Widerstand kommt indessen aus der SPD selbst. Matschie habe „die Partei und die Öffentlichkeit hinters Licht geführt“ und sei ein „Scharlatan“, sagte sein Gegenspieler Richard Dewes. Manch einer in Erfurt glaubt, dass sich Matschie bei einer handlungsfähigen Führung der Bundes-SPD hätte anders entscheiden müssen. Juso-Landeschef Peter Metz schlich Mittwochnacht geknickt aus dem Saal. Sein Stellvertreter Frank Dörfler war schon einen Schritt weiter. Man wolle für den Parteitag, der den Koalitionsvertrag billigen muss, eine Gegenmehrheit organisieren. Dessen Annahme scheint angesichts der Stimmung an der Basis derzeit keineswegs sicher. Der Thüringer SPD steht eine Zerreißprobe bevor.