: Das Erbe der patenten Hausfrau
KAFFEE Niemand verbindet Bremen mit Melitta. Dabei befindet sich hier das unermüdlich innovative Headquarter „Kaffee Europa“ des Filter-Imperiums – wer röstet, rostet nicht
VON HENNING BLEYL
Thomas Stellhorn hat tiefe Ringe unter den Augen, doch seine Schritte federn durch die nach Kaffee duftende Fabrikhalle. So energetisch muss man vermutlich sein, wenn man in anderthalb Jahren 16 Innovationsprojekte zu bewerkstelligen hatte – und so müde sieht man als Produktionsleiter dann eben aus. Gerade weiht Stellhorns oberster Chef, Melitta-Miteigentümer Stephan Bentz, die jüngste Errungenschaft ein: eine vollautomatische Palettier-Anlage. Sie soll die am Flughafen gelegene Großrösterei ins durchdigitalisierte Zeitalter katapultieren.
„Ich wünsche Ihnen allzeit eine Handbreit Palette unter dem Kaffee!“, ruft Bentz der versammelten 179-Mann-Belegschaft zu, zu der sich heute zahlreiche Angehörige und Pensionäre gesellt haben. Sich selbst wünscht Bentz das sicher auch, schließlich ist er der Unternehmer, mehr noch: ein Enkel. Der Enkel von Melitta Bentz, die 1908 den gleichnamigen Kaffeefilter erfand. Der gern erzählten Firmenlegende zufolge durchlöcherte die Dresdner Hausfrau den Boden eines Messingtopfes, nahm Löschpapier aus den Schulheften ihrer Söhne – schon war das Prinzip Filterkaffee geboren.
Ein fieses Quietschen reißt die BesucherInnen aus der wunderbaren Welt des Erfindens, Patentierens und Erfolghabens (aktueller Jahresumsatz: 1,2 Milliarden Euro): „Das war der Stretcher“, sagt Stellhorn ungerührt. Der was? „Der Stretcher“. Eine gewaltige Folienwurst tanzt wie von Geisterhand geführt um die Paletten und umwickelt sie dabei – eine doppelte Aromahülle. War Melitta nicht der erste Röster überhaupt, der Vakuum verpackten gemahlenen Kaffee vermarktete? Das war 1962. Vier Jahre später übernahm man die Bremer Traditionsrösterei Carl Ronning, Melittas Tüten jedoch werden nur in Minden, dem Hauptsitz der Gruppe, produziert. Bremen trägt immerhin 25 Prozent zu deren Außenumsatz bei.
Jetzt startet der nächste Soundtrack: Mit aufgeregten Gebimmel hat sich einer der vollautomatischen „Verfahrwagen“ in Bewegung gesetzt, greift nach den bepackten Paletten und und transportiert sie zur Stapelmaschine. Und dort findet die eigentliche Innovation statt: An Stelle acht Lagen können nun zehn aufeinander getürmt werden. Macht ein Plus von 20 Prozent. Anders gerechnet: Da die Laster nun bis unter die Plane beladen werden können, spart Melitta ein Fünftel seiner Transporte.
Wunder der Logistik: Wer bei Melitta arbeitet, braucht zu Hause keine Märklinbahn mehr. Allerorten rattern die Kaffeepakete über die Bänder, eine nie ende Waggonschlange windet sich um scharfe Kurven, saust über die Köpfe und sackt in tiefe Abfülltäler – immer vorangetrieben vom Beat der hydraulischen Motoren. Eine Mischung aus „Metropolis“ und Mainzelmännchen-Welt.
Wie viel Manpower spart die neue Palettieranlage der Firma? „Nur eine Handvoll“, sagt Stellhorn, die Betroffenen würden andernorts eingesetzt. Auch Bentz spricht nicht von Personaleinsparung – sondern von „noch besser werden“. Für heute aber ist der Chef zufrieden: „Alles weitere besprechen wir das nächste Mal.“