Runtergerockt, aber in guter Verfassung

Immerhin am Münchner Haus der Kunst herrscht wieder gute Laune. Trotz coronabedingter Härten und auch ohne absehbares „big thing“

Als die beiden als neue Chefs ans Münchner Haus der Kunst berufen wurden, hoffte man in der durch Krisen, Kämpfe und Brutalo-Personalpolitik gezeichneten Institution am Eisbach auf einen guten Neuanfang. Andrea Lissoni und Wolfgang Orthmayr traten ihren Dienst als neue künstlerische und kaufmännische Leiter an, doch als Erstes mussten sie die Türen absperren, Lockdown. Die Belegschaft war allein mit der Kunst in dem Monumentalbau aus dem Nationalsozialismus, in dem seit der Nachkriegszeit internationale Moderne gezeigt wird.

Nach diesem zwangsweise verstolperten Start sitzen Lissoni und Orthmayr nun entspannt bis heiter im Tischkreis mit Abständen, um Journalisten von Kunst in Coronazeit und der Aufstellung des Hauses zu erzählen. Theater und Musik machen laut auf ihre schlimme Lage aufmerksam, von den Kunstinstitutionen ist bisher wenig zu vernehmen. Die beiden verweisen darauf, dass die Tate in London noch bis 7. Oktober geschlossen bleibt, das MoMA in New York hat noch gar keinen Wiedereröffnungstermin angepeilt. „Da sind wir ja hier fast gesegnet“, sagt Orthmayr, das Haus an der Prinzregentenstraße 1 war zwei Monate lang zu.

Und doch folgt coronabedingt ein Pro­blem dem nächsten. Die Ausstellung „Innenleben“ etwa war beendet, das Zurückschicken der Kunstwerke an die US-Westküste und nach Brasilien aber lange nicht möglich – und dann für achtmal so hohe Luftfrachtpreise wie gewöhnlich. „Die Kosten sind uns um die Ohren geflogen“, so Orthmayr, der zuvor unter anderem Musikmanager bei Sony war. Für neue Schauen sind die Umstände ähnlich unkalkulierbar. Auch deshalb sei, so Lissoni auf Nachfrage, für 2021 kein „big thing“ geplant. Die Aussagen des Mannes, der von der Londoner Tate Modern kommt, zur künftigen Ausrichtung bleiben etwas verschwurbelt, er spricht von der Verbindung von „lokal und international“ und dass man künstlerische Arbeiten „anders teilen“ sollte.

Ai Weiwei solidarisierte sich

Vor allem verblüfft, und das soll wohl gezeigt werden, welch neuer, freundlicher Teamgeist eingezogen zu sein scheint. Der später ver­storbene Leiter Okwui Enwezor hatte Megaprojekte auf die Beine gestellt, aber große Finanzlöcher hinterlassen. Der kaufmännische Nachfolger Bernhard Spies – der künstlerische Part blieb unbesetzt – betätigte sich als Sanierer, sicherlich im Auftrag des Kunstministeriums. Im letzten Herbst sorgte er für große Empörung mit dem Plan, die Aufsichts- und Kassenkräfte outzusourcen und zu Leiharbeitern zu machen.

Der Betriebsrat wurde sehr laut, der Weltkünstler Ai Weiwei solidarisierte sich öffentlichkeitswirksam. Spies schlug um sich mit Abmahnungen und hausintern verschickten wüsten Beschimpfungen von Betriebsratsmitgliedern.

Noch unter ihm gab es Schlichtungsverhandlungen, jetzt ist eine Vereinbarung in Kraft getreten. Wolfgang Orthmayr sagt: „Wir haben den Betriebsfrieden erreicht.“ Niemand wurde ausgesourct, die meisten Beschäftigten behielten ihre Jobs. Nur absolute Minikräfte, die etwa zwei Stunden in der Woche gearbeitet hatten, sind gegangen, sowie andere aus Altersgründen.

Drei neue Informationen treten bei dem Gespräch zutage: Zum einen hatte der vorige Leiter Spies das Haus finanziell nicht nur wie verkündet zu einer schwarzen Null geführt, sondern ein hübsches Sümmchen Gewinn angehäuft. Hilfe vom Freistaat ist laut Orthmayr 2020 nicht nötig: „Wir haben Rücklagen.“ Derzeit hat das Haus nur 20 bis 30 Prozent der üblichen Besucher. „Genießen Sie die Ausstellungen für sich“, empfiehlt der Leiter. Zum zweiten scheint die seit Jahren geplante Generalsanierung in die Ferne zu rücken. Die Chefs meinen, sie müssten mit der Situation in dem maroden Haus „noch einige Jahre leben“. Es sei, meint Orthmayr, „in good shape, wenn auch runtergerockt“. Und drittens gibt es womöglich eine Auszeichnung: Die Arbeitnehmervertretung steht für ihren Einsatz gegen Leiharbeit auf der Nominierungsliste für den diesjährigen Deutschen Betriebsräte-Preis. Patrick Guyton