: Am Randdes Kollapses
Maja Göpels Versuch, die Welt neu zu denken, erhält großen Zuspruch
Von Manfred Ronzheimer
Dieses Buch ist ein Phänomen. Nicht so sehr wegen des Inhalts, einer der vielen Titel mit der Botschaft „Die Welt retten, aber dalli“. Sondern phänomenal ist der Zuspruch der Leserschaft. Über Wochen führte „Unsere Welt neu denken“ von Maja Göpel die Spiegel-Bestsellerliste an. Seit Erscheinen im Februar wurde mittlerweile die neunte Auflage gedruckt. Der Erfolg hat die Autorin, Wirtschaftswissenschaftlerin in einem Umweltbeirat der Bundesregierung, selbst am meisten überrascht. Was ist der Grund dafür? Schuld ist Corona, obwohl der Namen des globalen Virus kein einziges Mal im Text vorkommt. Das erzählende Sachbuch trifft die neue Nachdenklichkeit, die im Shutdown bei vielen Menschen Einzug gehalten hat.
Göpel ist nicht nur einflussreiche Politökonomin und Nachhaltigkeitsforscherin, sondern auch Umweltaktivistin, die im vergangenen Jahr die Bewegung „Scientists for Future“ mit gegründet hat, um „Fridays“-Kids wissenschaftlich zu unterstützen. Vor wenigen Tagen wurde ihr der B.A.U.M.-Umwelt- und Nachhaltigkeitspreis 2020 zugesprochen. In ihrem Buch geht sie der Frage nach, „wie es passieren konnte, dass die Menschheit den Planeten in der Lebensspanne zweier Generationen an den Rand des Kollapses gebracht hat“.
Zentraler Treiber ist in ihrer Analyse das herrschende Wachstumsmodell der Ökonomie, das eine globale „Extraktions- und Maximierungsmaschine“ errichtet hat, die Natur nur noch ausbeutet, statt mit ihr zu kooperieren. Wie kommen wir aus dem Wettlauf zur Zerstörung der Welt heraus? „Weiterzumachen wie bisher ist keine Option, weil es zu radikalen und wenig einladenden Konsequenzen führt“, befindet Göpel.
Auch in sozialer Hinsicht, dem Verhältnis der Menschen untereinander, könnte radikal umgesteuert werden. Muss sich die Schere zwischen Armen und Reichen immer weiter öffnen? Ökonomin Göpel rechnet vor: Wenn 10 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung an die 20 Prozent der ärmsten Bevölkerungsteile gegeben würde, entspräche das den 8,2 Billionen Dollar, die die Reichen illegal in ihre Steueroasen geschafft haben. Mit einer anderen Steuergesetzgebung wäre es möglich, jedem Erdenbürger ein Grundeinkommen von 10.000 Dollar im Jahr zu verschaffen. Voraussetzung dafür: Verteilungsgerechtigkeit neu denken – und realisieren.
Ihre Einladung, die Welt neu zu denken, empfiehlt den Blick aus der Zukunft – was uns bevorstehen könnte –, geweitet um eine systemische Perspektive. An ihrer aktuellen Arbeitsstätte, dem Wissenschaftlichen Beirat für Globale Umweltveränderungen (WBGU), wird dieses Vorausdenken schon seit Jahren praktiziert. Große Transformationsstudien für Politik und Fachwelt wurden produziert, mit bescheidener Wirkung.
Nun hat sich die Welt gewandelt, und zugleich bei vielen die Bereitschaft, sich auf einen „großen Bewusstseinswandel“ einzulassen. Den hatte Göpel schon vor drei Jahren in einem Buch („The Great Mindshift“) eingefordert, das als Theoriewerk nur in Ökonomenkreisen rezipiert wurde. Jetzt hat sie ein Publikum mit größerem Interesse gefunden.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen