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Archiv-Artikel

Wenn der Stripper kommt …

… beginnt das Eheleben: Akademikerinnen haben das Ritual des Junggesellinnenabschieds für sich entdeckt. Mit Schnaps und Stripper beenden sie das Moratorium Jugend. Das Ganze nennt sich dann – Hennenabend

VON MARTIN REICHERT

Nur noch einmal Babyöl in einen richtigen Waschbrettbauch reiben, denn danach wird die Flüssigkeit nur noch in ihrer eigentlichen Funktion verwendet. Bevor das bürgerliche Statut der Ehe standesamtlich installiert bzw. die Einheit von Mann und Frau vor Gott besiegelt wird, kommt der Stripper. Immer mehr Frauen feiern ihren Junggesellinnenabschied, in Anlehnung an angelsächsisches Brauchtum auch „Hennenabend“ genannt. Die „Hens Night“ und die „Stag Night“ sind in Großbritannien, Australien und den USA eine Institution – und hierzulande im Begriff, den traditionellen Polterabend abzulösen, der unter Akademikern eher als provinziell-kleinbürgerlich gilt. Stag bedeutet eigentlich Hirsch, wird im übertragenen Sinne aber auch für das männliche Genital verwendet. Es geht also um das Eigentliche. Der Grund des Zusammenkommens ist die Reproduktion.

Was Männer an einem Junggesellenabschied machen, kann sich jeder vorstellen: Saufen, dreckige Witze erzählen und der Stripperin an den Po fassen. Und was machen die Frauen an ihrem „Hennenabend“? Saufen, dreckige Witze erzählen und dem Stripper an den Po fassen. „Stripper-Andreas“ aus Essen verdient sich auf diese Weise seit Jahren sein BWL-Studium. Gleichzeitig ist der 29-Jährige der einzige Mann, der auf den Frauen-Events zugelassen ist, er muss also wissen, wovon er spricht: „Man gewöhnt sich daran, wenn man das jedes Wochenende macht. Wenn Frauen ganz unter sich sind besteht jedenfalls kein großer Unterschied zu Männergruppen. Wenn ich mal kurz im Bad bin, um mich frisch zu machen, höre ich ja, was so geredet wird …“

Es ist fast immer das gleiche Prozedere: Die Braut sitzt auf einem Stuhl und muss während des Strips assistieren, das Hemd öffnen, den Reißverschluss aufziehen. Anfassen ist bei „Stripper-Andreas“ erlaubt, einfach „weil es dazugehört. Die Braut darf mich mit Babyöl massieren.“ 90 Prozent der Kundinnen wünschen eine Performance in Polizei-Uniform. Er kommt rein und tut so, als ob es sich um einen Einsatz handelt, und dann geht es los. Dabei könnte er auch Feuerwehrmann, Offizier, Pizzalieferant oder Handwerker. Ist nicht gefragt.

Nach der Show setzt er sich noch für 25 Minuten zu den Mädels und beantwortet die immer gleichen Fragen: „Hast du eine Freundin?“ und „Wie kommt man zu dem Beruf?“ Dann geht er: „Die Frauen wollen dann wieder unter sich sein.“

Schließlich ist es der „letzte Abend“, an dem ausgelassen mit Freundinnen aus Schul- und Studientagen gefeiert wird. Wenn der Stripper kommt, ist alles aus und vorbei: Im String-Tanga fungiert er als Hohepriester, der die Rites de Passage zelebriert. Er beendet offiziell das Moratorium Jugend, jene vom bürgerlichen Elternhaus gerne mit monatlichen Wechseln alimentierte Studienzeit, in der vorübergehend alles erlaubt ist. Wüste Wohngemeinschaften mit dreckstarrender Spüle, Drogenmissbrauch und/oder Experimentieren mit fernöstlichen Heilslehren, Kunst, Bisexualität. Wenn der Stripper kommt, löst sich das Chaos in elterlichem Wohlgefallen auf: Die Söhne und Töchter kehren heim und übernehmen die elterliche Fleischerei, vorher kamen die Altvorderen mit dem Hochdruck-Dampfreiniger vorbei, um die WG übergabefertig zu machen.

Der Hennenabend wird bewusst als Abschied von der Freiheit gefeiert. Spätestens wenn das Lehramts-Referendariat abgeschlossen, die Diplomarbeit geschrieben, die Ausbildung abgeschlossen ist, setzt der Prozess der Verbürgerlichung unerbittlich ein. Heiraten, Kinder kriegen, Karriere machen. Die Eltern haben schließlich dafür bezahlt, und außerdem wird die Matratze auf dem Boden langsam unbequem.

Selbst so genannte „Szene“-Bezirke wie Prenzlauer Berg in Berlin, Spielplatz jener Generation der heute um die Dreißigjährigen, „die nicht erwachsen werden wollen“, samt ihrem Nachwuchs, werden von diesen vermeintlich provinziellen Ritualen längst nicht mehr verschont. Wer abends in finster-existenzialistische Gespräche vertieft über seinem Absinth sitzt, muss damit rechnen, von einer jungen Maid angesprochen zu werden, die folgendes Schild um den Hals trägt: „Einmal küssen zwei Euro“. Die andere Variante des Junggesellinnenabschieds: Die Braut macht sich öffentlich zum Deppen. Der Erlös dieser Verulk-Aktion wird dann von den Teilnehmerinnen des Abschiedsabends selbstverständlich versoffen.

Und so manche Teilnehmerin hat an diesem Abend den Schnaps bitter nötig. Schließlich verabschiedet sich die ehemals beste Freundin, mit der man immer um die Häuser gezogen war, die immer ansprechbar war und die gleichen Sorgen und Nöte hatte, in die Kleinfamilie, einen Mikrokosmos mit Ausschlusscharakter. Einen Schnaps und eine Zigarette, weil Zigaretten in Anwesenheit der noch kettenrauchenden besten Freundin nicht mehr erlaubt sein werden – bitte auf dem Balkon, ich bin doch schwanger. Noch einen Schnaps auf all die Windel-Gespräche, die da noch kommen werden. Einen Schnaps, weil die Aktion so peinlich ist gegenüber den anderen Kneipen-Besuchern, die geistig noch voll dem Moratorium verhaftet sind und gar nicht ahnen können oder wollen, dass es vielleicht nicht ausreicht, 700 Kilometer von Stuttgart entfernt zu sein. Die Provinz ist in den Köpfen verankert und wird von den Erfahrungen in den urbanen Milieus nur vorübergehend verdrängt.

Wenn zwei sich finden, gibt es eben nicht nur lachende Dritte. Der Junggesellen- und Junggesellinnenabschied ist für viele ein ausgesprochen trauriges Fest: für all diejenigen, die an das Konzept „Freunde als Ersatzfamilie“ geglaubt hatten und angesichts der um sich greifenden Heirats- und Fruchtbarkeitswelle Panikattacken bekommen. Für all diejenigen, die sich für ihr Geschwätz von gestern durchaus noch interessieren und ihr Leben immer schon ganz anders führen wollten als ihre Eltern und nicht begriffen haben, dass sie der x-ten Wiederholung des Stückes „Coming of age“ beiwohnen.

Die beste Freundin spricht plötzlich ganz anders, ist anders gekleidet. Sie ist nicht mehr auf der Suche, denn schließlich hat sie gefunden: Schatzi. Wenn der Stripper kommt, ist die Zeit des sexuellen Selbsterfahrung vorbei. Es beginnt die Ära des gepflegten Sexualwitzes: Frühstückstassen mit aufgedruckten Penissen. Auf dem Anrufbeantworter ertönt: „Hallo, wir sind derzeit nicht erreichbar, melden uns aber, wenn wir fertig sind.“

Die Performance des Strippers ist schließlich auch nur ein neckischer Sexualwitz. Denn der Stripper ist nicht verrucht oder gefährlich, er ist der nette BWL-Student aus der Unisportgruppe nebenan, der sich in Ermangelung reicher Eltern sein Studium selbst finanzieren muss. Wenn er dann selbst heiratet, gibt es nur noch Privatvorstellungen. Und das Babyöl bleibt dort, wo es hingehört: auf der Wickelkommode.