berlin viral: Kein Leben ohne die Sendung von Wolfgang Doebeling
Der Winter ging auch vorbei; der Frühling macht eine Pause. Ein bisschen wehmütig schaut man sich spanische „Stay Homas“-Handykonzerte an und kommt sich beim Internetbillard mit seinem Stay-at-Home-Profilbild schon fast ein bisschen peinlich vor. Die Früchte der Quarantänen trudeln auch langsam ein.
Seit Ende März mailt Graf Tati jeweils alle paar Tage neue Lieder, die er mit seiner Freundin Cécile Dupaquier aufgenommen hat. „Ist alles in den vergangenen Wochen bei uns zu Hause entstanden. Hoffe dir gefällt’s. Tüftle gerade am nächsten. Wir wollen das noch dieses Jahr irgendwiewo herausbringen.“ hat er begleitend zur Musik geschrieben.
Die Lieder heißen „je kiffe – les anti-héros“, „Strange Desire“, „Follow me“, „these are the days“, „I’d prefer not to“ und an diesem Wochenende „Lost Weekend“. Vieles klingt so ein bisschen wie beim mittleren David Bowie mit einem Tick Kraftwerk; ich bin ganz erstaunt, was für eine gute Stimme der rheinländische Ex-Liedermacher hat. Und er ruft auch dazu auf, den heimischen Club 49 in der Ohlauer Straße zu unterstützen. Für jedes alkoholische Getränk, das wir nun leider „in private“ zu Hause trinken müssen, werfen wir einen Euro in ein großes Glas. Und wenn der Club dann wieder aufmacht, hauen wir das alles auf den Kopf. Ich gehe zum ersten Mal seit Jahren mit Ohrhörern spazieren und höre ByteFM.
Es ist lustig, dass gerade die taz-Mixtape-Sendung läuft mit einem Sprecher, den ich kenne. Die Gegend draußen hat sich wieder mal verändert. Bis letzte Woche hatte in der Eingangstür des „Logo“ in der Urbanstraße noch ein Blatt gehangen, auf dem in fetten Buchstaben stand: „Aufgrund der Grippe- bzw. Erkältungswelle möchten wir momentan auf das Händeschütteln oder Küssen verzichten!“ Das ist nun weg.
Viele der in Umzugskisten und Körbchen ausgesetzten Stofftiere sind schon wieder verschwunden, manche haben vielleicht auch ein neues Zuhause gefunden. Beim Gabenzaun in der Schleiermacherstraße, am Sportplatz des FC Südring, erinnern nur noch Papierfetzen an ihn. Das große Puzzle, das daneben hing, ist längst verschwunden. Ein paar Wochen hing es, dann stand es auf dem Boden, so als hätte es jemand mitnehmen wollen und sich nach zwei Metern anders entschieden, dann war es doch verschwunden.
Die meiste Zeit bin ich eher drinnen; eigentlich sehe ich nur M. am Wochenende. Die Balkontür ist auf; es gibt Kuchen, Tee, Rauchen und im Fernseher Bundesliga, die man mit dem Gefühl guckt, dass es so eigentlich auch ganz okay ist. Wir überlegen uns, wie man Geisterspiele noch attraktiver machen könnte. Im dänischen Århus konnten sich Fans irgendwie auf die Zuschauertribüne beamen, in Südkorea hatten versehentlich ehemalige Sexpuppen unter den Schaufensterpuppen auf der Tribüne gesessen. Vielleicht wäre es lustig, wenn die Spieler alle zum Trikot passende Mützen tragen müssten. Oder wenn es gleichzeitig eine tolle Lightshow wie beim Discobowling gäbe. Diese Lightshow würde dann immer einsetzen, wenn die Mannschaften langweilig spielen. Wäre doch lustig.
Später bei netto haben ein paar Männer ihre Masken nur halb übers Gesicht gezogen. Angeschlagen steh ich in der Schlange vor dem Pfandautomaten. Hinter mir gibt es Streit. Es geht um Masken und fehlende Distanz. Jemand fordert einen anderen auf, mit ihm nach draußen zu gehen. Dann ist wieder Ruhe. Später ruft K. an und klagt, dass ihre Lieblingssendung wohl noch in Quarantäne ist. Sie hätte sich schon bei radioeins beschwert. Normalerweise läuft sie immer sonntags von 23 bis 1 Uhr auf radioeins. Erst fiel sie coronabedingt aus, nun hört man gar nichts mehr. Aber ohne die Musik von „Roots“ und ihrem Moderator, Wolfgang Doebeling, ist es doch kein Leben. Wie können die Verantwortlichen das anders sehen?
Detlef Kuhlbrodt
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