LONDON EYE
: Boris, der gute Idiot

VON DANIEL ZYLBERSZTAJN

Vor vor 50 Jahren, am 13. August 1964, hängte man den letzten Menschen in England auf. Aber im August 2012 hing in London kein Verurteilter, und gestorben ist der Hängende auch nicht. Seit er fünf Minuten bei einem Seilbahnmanöver stecken blieb und verzweifelt mit den kleinen Union-Jack-Fähnchen wedelte, gingen mal wieder Gerüchte um: Der Londoner Bürgermeister Boris Johnson solle die Parteiführung der Konservativen übernehmen und sich als Premierminister zur Wahl stellen.

Solche Sprüche gibt es schon seit Jahren und sie haben mit angeblichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Johnson und David Cameron zu tun. Vielleicht war der Seilbahntrick eine dezente Warnung aus Downing Street? Er müsse erst mal seine Amtszeit in London absitzen, deklarierte der amtierende PM. Ganze vier Jahre wird Boris noch London regieren müssen. Viele munkeln, dass die Tories den charismatischen Bürgermeister an diese Stelle verbannt haben, damit er in der Partei nicht zu viel Unruhe stiften kann.

Boris Johnson ist bekannt für sein extravagantes Vokabular und seine ungekämmte blonde Frisur. Die findet Lisa gut und sagt, dass sei Grund genug, ihn zum Premier zu küren. „Boris als Premier?“, lacht die Londonerin Francis Hamlin. Sie will ihn nicht mal als Bürgermeister.

Der Londoner Jeremey Crook findet, dass Boris sage, was ihm in den Kopf käme. Duncan, 40, nennt Beispiele: „Vor einem Jahr schlug Boris einen neuen Flughafen an der Flussmündung der Themse vor, obwohl dort Bomben liegen und jegliche Infrastruktur für Verkehrsverbindungen fehlt. Boris redet erst und denkt später.“ Damit könne man keine internationale Politik machen,“ sagt Duncan.

Will, 37, schreit sogar: „Boris? Schrecklich! Der ist ein Vollidiot!“ Der Computeringenieur Paul widerspricht. „Alle Politiker sind Idioten! Boris ist auch ein Idiot, aber ein guter Idiot.“ Johnson ist also doch Konkurrenz für die Jungs aus Eton und Oxford. Wenn die Jahre der Verbannung nach London enden, sollte Boris vorsichtiger sein, bevor er sich an Stahlseile hängen lässt.