berliner szenen: Watchen, Sleepen, Nappen
Nun, da wir jeden Tag von neuen Lockerungen heimgesucht werden, hat man das Gefühl, dass bald alles wieder ganz genauso sein wird wie vor Corona. Lang vermisste und liebgewonnene Praktiken kehren zurück. In Kürze dürfen wir einander wieder volle Pulle gegenseitig ins Gesicht rotzen. So wie vorher, war das nicht schön? Wir werden endlich wieder in die weit aufgerissenen Nilpferdklappen junger Menschen blicken, nachdem die Hand vorm Mund beim Gähnen ja offensichtlich aus den Benimmregeln getilgt ist. Bald sitzen die hirnlosen kleinen Arschgeigen auch wieder mit ’nem Döner im Kino. Wahrscheinlich klinge ich für die jetzt wie mein eigener Großvater, dabei bin ich gar nicht so schlimm: Meinetwegen darf man die Kartoffeln mit dem Messer schneiden und Sex vor der Ehe haben (zuvor Händewaschen und zweimal „Je t’aime … moi non plus“ singen). Da bin auch ich echt locker geworden.
So viele Dinge habe ich während des Semi-Shutdowns schätzen gelernt. Ich habe es genossen, zu Hause zu bleiben, gar nichts zu machen, zu cocoonen, couchzupotaten, zu chillen. Gepflegt abzuhängen, mich fett einzumaden. Bingewatchen, bingesleepen, bingenappen, bingeresten. Muss ich wirklich wieder rausgehen? Mich einfädeln in das hektisch fließende Leben, den Lärm, die Aktivitäten? Alleine der Gedanke macht mir Angst. Zu Hause ist es doch am schönsten. Da bin ich sicher, da schreit mich keiner an, da tut mir keiner weh. Zu Hause, da kenne ich mich aus. Das ist so wahnsinnig beruhigend, wenn du immer genau weißt, wo das Bett, der Kühlschrank, die Toilette ist.
Woanders aber ist das anders. Das sagt ja schon das Wort. Bereits der Weg dahin ist steinig und mühsam. Man weiß im Grunde nie, ob man überhaupt ankommt, und wenn doch, wozu eigentlich. Uli Hannemann
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