berliner szenen: Fußgänger-Frust bekämpfen
Es scheint eine Fußgängerdepression zu geben. Während Radfahrer seit C-19 freundlicher geworden sind, geht es mit denen, die zu Fuß unterwegs sind, gerade rapide bergab. Irgendwas scheint mit der Frustbewältigung nicht mehr zu klappen. Ständig wird gezetert.
„Schau nach vorne“ zur 16-Jährigen, die beim Gehen in ihr Smartphone tippt. „Brauchst du nen Zollstock?“ zum Passanten, der an der Ampel die Abstandsregeln vergisst. Ganz zu schweigen von der Körpersprache, wenn sich eine mit dem Monatseinkauf behängte Amazone an auf Fensterbänken speisenden Heilsarmee-Verköstigten entlang planiert.
Dagegen die Radfahrer! Sogar die Fanatikerinnen (ich auch?), die mit 120 km/h abends den P’berg hochstrampeln, als würde am Gipfel eine Medaille auf sie warten, bremsen ohne zu murren ab, wenn jemand Schlangenlinie fährt. Und an Ampeln, selbst an jenen mit leicht zu übersehenden Grünphasen, herrscht friedliches Abstandsreißverschlussverfahren.
Überhaupt scheint C-19 die Welt wieder in binäre Systeme zu teilen: die, die weniger als sonst arbeiten; die, die mehr als sonst arbeiten – die mit Kindern, die ohne – die, die bio essen; die, die aus Angst vor esoterisch manipuliertem Saatgut selbst bei Netto noch zum konventionell gewachsten Jonagold greifen.
Zurück zu den Fußgängern. Vielleicht brauchen sie Anreize, so wie Pop-up-Radwege für die bereiften Mitmenschen? „Spielstraßen“ waren da vielleicht nicht das richtige Signal. Weil: Kinder können die, die welche haben, ja nicht mehr sehen, und die, die keine haben, kriegen das mit dem Slalomlaufen noch nicht so hin. Wie wär’s mit, ähm, Trampolinen für alle? Darauf brachte mich kürzlich ein Nachbar, morgens um sechs, beim Power-Hopser im Spiderman-Kostüm. Sah aus, als würde es helfen. Astrid Kaminski
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