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Archiv-Artikel

Arzneikosten im ersten Halbjahr explodiert

Geringere Hersteller-Rabatte als Hauptursache. Barmer-Chef attackiert Industrie und fordert wieder mehr Nachlass

BERLIN rtr ■ Die gesetzlichen Krankenkassen haben in der ersten Jahreshälfte 20 Prozent mehr für Arzneimittel ausgegeben als im Vorjahreszeitraum. Insgesamt beliefen sich die Ausgaben in den ersten sechs Monaten auf 11,1 Milliarden Euro, teilte die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) am Donnerstag in Berlin mit. Das seien 1,86 Milliarden mehr als in der ersten Jahreshälfte 2004. Der Chef der Barmer Ersatzkasse, Eckart Fiedler, forderte die Politik zu einer gesetzlichen Begrenzung der Ausgaben auf.

Ein Grund für die gestiegenen Ausgaben sei die Absenkung des Rabatts, den die Pharmaunternehmen den Kassen gewähren, erklärte die ABDA. Er sank zu Jahresbeginn von 16 auf 6 Prozent. Dies macht nach ABDA-Angaben allein 460 Millionen Euro an Mehrkosten aus. Zudem seien die Ausgaben Anfang 2004 besonders niedrig gewesen, weil sich viele Menschen Ende 2003 in Erwartung höherer Zuzahlungen durch die Gesundheitsreform noch einen Vorrat an Medikamenten angelegt hätten. Diesen statistischen Effekt veranschlagt der Apothekerverband mit 350 Millionen Euro.

Darüber hinaus verordneten die Ärzte in diesem Jahr bisher mehr Medikamente (plus 350 Millionen Euro). Durch Preisänderungen und die Umstellung von Therapien ergaben sich zusätzlich 630 Millionen Euro. Des Weiteren habe die Zahl der Versicherten zugenommen, die von Zuzahlungen befreit seien (plus 240 Millionen Euro). Dem stehe eine Entlastung durch die Einführung neuer Festbeträge von 170 Millionen Euro gegenüber.

Wegen der steigenden Arzneiausgaben halten sich viele Kassen mit Beitragssenkungen zurück. Mehrere Kassenmanager schließen auch Beitragssteigerungen nicht aus.

Barmer-Chef Fiedler forderte eine gesetzliche Begrenzung der Arzneimittelkosten. „Es kann nicht sein, dass die Pharmafirmen in einer für die gesetzliche Krankenversicherung finanziell schwierigen Lage wie derzeit solche Gewinne machen können“, sagte er in einem Zeitungsinterview. „Es wäre deshalb richtig, nach der Wahl über ein Gesetz die Rabatte für Arzneien zumindest ein Stück weit anzuheben.“

Der Chef des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen, Wolfgang Schmeinck, hält dies jedoch allenfalls als Notmaßnahme für denkbar. „Die gesetzliche Anhebung des Herstellerrabatts würde die Krankenkassen zwar kurzfristig entlasten, aber an der Kostendynamik nichts ändern“, sagte er. Kurz vor der geplanten Bundestagswahl seien solche Regelungen ohnehin kaum durchsetzbar. Deshalb dürften es die Kassen nicht zulassen, dass sich die Ärztevertreter aus ihrer Verantwortung für die Arzneiausgaben stehlen.

Auch Gesundheitsstaatssekretär Klaus Theo Schröder betonte, die Verordnungen von Arzneimitteln lägen in der Hand der Ärzte. Daher trügen die Vertragsärzte Mitverantwortung für die beunruhigende Kostenentwicklung, sagte Schröder.

Am Mittwoch waren Gespräche zwischen den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) über eine Kostendämpfung vorläufig gescheitert. Die Ärztevertreter lehnten die Einführung eines Bonussystems ab, das Ärzte innerhalb mit sparsamer Bilanz belohnt und Mediziner mit ausufernden Verschreibungsverhalten bestraft hätte.