: Weg isser, der Graf Eberhard
Graf Eberhard – ist weg. Zwangsgeräumt vom Mittleren in den Oberen Schlossgarten. Geleit gibt ihm
Gerhard Raff
Du „Princeps sapientissimus Germaniae“ („weisester unter den Fürsten Teutschlands!“)!
Du „Wegbereiter der Demokratie“ („Mir hend en Wirteberg scho en Landtag ghet, da isch dr Columbus no uffem Scheißhäfele ghockt“)!
Du „Baumeister der Gelehrtenrepublik Schwaben“ („Der Schiller und der Hegel …“)!
Du Vater unserer 535-jährigen „Alma mater Tubingensis“ (der „Intelligenzfabrik im Neckar-Athen!“)!
Du Urheber einer avantgardistischen Umweltgesetzgebung, der Schwäbischen Kehrwoche (jener ungeliebten, aber „segensreichen, in fünf Jahrhunderten bewährten seuchenhygienischen Präventionsmaßnahme nach dem ökologisch wie soziologisch sinnvollen Verursacherprinzip unter strikter Anwendung des basisdemokratischen Rotationsverfahrens“)!
Geboren anno 1445 zu Urach. Gestorben viel zu früh anno 1496 zu Tübingen. Begraben auf dem Einsiedel. An dessen Grabe „Kayser Maximilianus I. mit Thränen gesagt: In dieser Begräbnuß ligt ein solcher Fürst, dessen Rath ich offt gebraucht, und deme ich an Verstand und Tugend im gantzen Röm. Reich keinen zu vergleichen weiß“!
Mit Recht hat Dir „Dein dankbares Volk“ Denkmäler errichtet.
Anno 1859, dem „Begründer der bürgerlichen Freiheit in unserem Lande“ (O-Ton des Paulskirchenabgeordneten Friedrich Römer bei der Enthüllung) im Hof des Neuen, neuerdings des Alten Schlosses, geschaffen vom Hofbildhauer Ludwig Hofer. Aus Bronze, hoch zu Ross, martialisch mit erhobenem Schwert, der geniale Großkopfete, der doch zeitlebens „den Frieden liebte“ und das Schmalz nicht im Oberarm, sondern im Oberstübchen hatte …
Eberhard, Überlebender vieler Zerstörungen
Anno 1881, dem „Wiedervereiniger des Landes Württemberg“ im Schlossgarten, geschaffen vom Bildhauer Paul Müller. Aus Laaser Marmor aus Südtirol, im Schoße eines Untertanen liegend, wie es Justinus Kerner in der „Württembergischen Nationalhymne“ namens „Preisend mit viel schönen Reden“ 1817 besungen hat. Sie berichtet von jenem 21. Juli 1495, als Graf Eberhard „zu Worms im Kaisersaal“ von Maximilian zum Herzog erhoben und zugleich als Herrscher eines armen Landes von den viel reicheren Reichsfürsten zum „reichsten Fürsten“ gekürt wurde, dieweil er von seinen Landeskindern so sehr geliebt wird, dass er sich vor jenen nicht zu fürchten braucht, sondern im Gegenteil „sein Haupt kann kühnlich legen jedem Untertan in Schoß“.
Diese Geschichte ist nun nicht die Erfindung eines um einen Orden, um eine Beförderung buhlenden Fürstenschleimers, sondern der Augenzeuge Johannes Reuchlin hat sie so miterlebt und seinem Verwandten Philipp Melanchthon weitererzählt und der wiederum seinem Freunde Martin Luther in Wittenberg, und aus dessen „Tischreden“ hat sie sich schließlich über halb Europa verbreitet.
Das anrührende Monument hat all die Jahre unversehrt überlebt, auch als die Haupt- und Residenzstadt Stuttgart im XX. Saeculum von auswärtigen Bomberpiloten und einheimischen Kommunalpolitikern zerstört wurde. Und wie oft haben sich zehntausende rechtschaffene Landsleute im edlen Angesichte des guten Grafen Eberhard und seines getreuen Untertanen versammelt, um die von hirnarmen Hurglern in Regierung, Landtag und Rathaus, Arm in Arm mit der Deutschen Bahn, Hand in Hand mit der Immobilienmafia geplante Zerstörung des von Württembergs letztem König Wilhelm II. – dem „Demokraten auf dem Königsthron“ – und seinem Ministerpräsidenten Carl Hugo Freiherr von Weizsäcker beim Baumeister Paul Bonatz in Auftrag gegebenen und so schön geratenen Hauptbahnhofes und des königlichen Schlossgartens zu verhindern.
Aber ein nur durch die Hintertür auf den Thron der Villa (Brech-)Reitzenstein gelangter Machtmensch vom Phänotyp eines Metzgergesellen hat allen Protesten zum Trotz mithilfe landeseigener Wasserwerfer und aus halb Deutschland herbeigeholter Holzprügel sowie teuer gekaufter Abbruchbagger und Motorsägen dieser Schönheit ein Ende bereitet und im Herzen der einstigen „Großstadt zwischen Wald und Reben“ eine Wüstenlandschaft entstehen lassen. Und abgesehen davon, dass es für uns Untertanen größere Glücksgefühle gibt als die, den Riebelesmöckel eines Mappus im Schoß zu liegen haben, ist ja mittlerweile auch sein Volk leider Gottes „nemme dees“, was es mal war. Wie sonst ist es im einstigen „Land der hellen Köpfe und der geschickten Hände“ möglich gewesen, dass sich bei der Volksabstimmung keine Mehrheit gegen diesen bestgeplanten Irrsinn „Schuttkack 00“ gefunden hat? Aber war von einem Volk, das extra einer japanischen Atomkatastrophe bedurfte, um diesen katastrophalen Kerle loszuwerden, tatsächlich etwas anderes zu erwarten?
Sei's drum. Unser anheimelnder monumentaler Eberhard samt Untertan hat jetzt seinen angestammten Platz im bürgerkriegszerstörten Schlossgarten zwangsweise räumen müssen und wird künftig in Sichtweite des Landtages aufgestellt werden. Ob aber des no ebbes hilft?
Gerhard Raff, geboren 1946, lebt als freier Schriftsteller in Stuttgart-Degerloch. „Mit seinem mehrfach preisgekrönten schwäbischen Klassiker ,Herr, schmeiß Hirn ra!‘ weltweit meistgelesener Dialektautor der Gegenwart“ (Deutsche Verlags-Anstalt). Er war Schüler von Schwabens Meisterdichter Thaddäus Troll, Student von Hansmartin Decker-Hauff und ist derzeit die landeskundliche Koryphäe schlechthin – egal, ob es um die Kehrwoche geht oder um Graf Eberhard.