berliner szenen: Außer sie werden geschlagen
Beim Anblick der aktualisierten Liste systemrelevanter Berufe mache ich innerlich Freudensprünge: Ab jetzt gelten mein Freund und ich als systemrelevant. Das bedeutet, dass unsere Tochter ein Recht auf Notbetreuung hat. Wochen lang hat sie nur uns beide gesehen. Langsam können wir ihr Bedürfnis nach anderen Kindern nicht mehr auffangen.
Auf der Liste für den Anspruch auf Notbetreuung stehen auch Alleinerziehende. Euphorisch schreibe ich F. Sie war vor Corona gerade dabei, sich um eine Umschulung zu kümmern. Nun ist sie seit Wochen nur von ihren zwei Kindern umgeben, hat keine Minute für sich und klingt zunehmend depressiv. Obwohl sie sich täglich bemüht, für ihre Jungs ein Programm auf die Beine zu stellen, werden auch die immer deprimierter: Sie wollen Freunde treffen oder zumindest draußen spielen, auf einem Spielplatz oder im Park.
F. aber wagt sich mit ihnen kaum noch vor die Tür: Wegen ihres Asthmas bereitet es ihr großen Stress, die Jungs unter Menschen in Schach zu halten und dazuzubekommen, ausreichend Abstand zu wahren. Eine große Grünanlage gibt es in ihrer nächsten Umgebung nicht, einen Garten hat sie nicht. Und im Supermarkt, erzählt sie am Telefon aufgebracht, wurde sie sogar gerügt, mit Kindern zu kommen.
Da F. meint, der Anspruch Alleinerziehender gelte nur für Erwerbstätige, frage ich für sie nach. Die Kitaleitung bestätigt ihre Befürchtungen: „Notbetreuung greift nur, wenn keine andere Betreuung möglich ist.“ Ich erkläre, dass F. ein Notfall sei: depressiv und nicht länger in der Lage, den Jungs gerecht zu werden. Die Kitaleitung aber erklärt: „Solange sie zu Hause ist, haben die Kinder kein Recht auf einen Platz.“ Und fügt nach kurzem Zögern hinzu: „Außer die Kinder werden geschlagen. Dann ist das aber ein Fall fürs Jugendamt.“ Eva-Lena Lörzer
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen