: Etiketten-Schwindel
Das Zauberwort um den Verkauf der LBBW-Wohnungen im Februar 2012 an das private Patrizia-Konsortium hieß „sozial“. Es war hübsch verpackt in einer Charta und sollte beruhigend wirken. Maximal drei Prozent Mieterhöhung pro Jahr schienen festgeschrieben. Doch schon erhalten die ersten Bewohner saftige Preisaufschläge von fast zehn Prozent
Eine Woche lang rauchten Anfang August an einer Hochschule im Bayrischen die Köpfe. Kontext-Gründungsmitglied Meinrad Heck hatte an der Katholischen Universität Eichstätt zum zweiten Mal nach 2011 eine Recherchewerkstatt eröffnet und geleitet. 25 junge Studentinnen und Studenten der Journalistik sollten nicht nur für den Papierkorb arbeiten, sondern unter Live-Bedingungen weniger akademisch als vielmehr praktisch recherchieren.
Unerschrocken nahmen die angehenden jungen KollegInnen dabei auch die Institution etwas genauer unter die Lupe, die ihrer Hochschule den Namen gegeben hat. Wie steht's um die selbst verkündete Moral der Katholischen Kirche hinter ihren hohen Mauern? Warum vertreibt etwa ein katholischer Weltbild-Verlag auch Schmuddel-Literatur?
Bei manchen Recherchen bissen sie sich die Zähne aus. Etwa wenn Unternehmenssprecher jener Weltbild-Verlagsgruppe sich nach kritischen Fragen verleugnen ließen und partout nicht antworten wollten oder andere geistliche Gesprächspartner auch schon mal mit dem Zaunpfahl winkten und ob der unangenehmen Fragen einen Beschwerde-Anruf beim Unipräsidenten in Aussicht stellten. Euphemistisch darf man solche Spielchen auch „Unternehmenskommunikation“ nennen.
Das Recherche-Team nahm's gelassen. Bei allen Hürden und dicken Mauern, der Weg war das Ziel bei diesem Rechercheseminar. Und dennoch waren die StudentInnen auch mit Ergebnissen erfolgreich. Sie betrachteten den vor Monaten in Stuttgart spektakulär abgewickelten Milliardendeal um den Verkauf von 21.000 LBBW-Wohnungen an das private Patrizia-Konsortium nicht mit dem Fernglas, sondern mit der Lupe. Sie stöberten in Baden-Württemberg Patrizia-Kunden auf, denen saftige Mieterhöhungen ins Haus flattern, obwohl doch eine sogenannte Sozialcharta einen ganz anderen Eindruck vermittelten sollte. Das Ergebnis dieser Recherchen hat Seminarleiter Meinrad Heck im Text „Etiketten-Schwindel (s.o.) zusammengefasst.
von Meinrad Heck und Journalistik-StudentInnen der Uni Eichstätt
In Stuttgart hat der Blitz eingeschlagen. Genauer gesagt Blitz 11-678. Dieser Blitz 11-678 war eine von vielen sogenannten Vorratsgesellschaften, also Unternehmen ohne Inhalt, die nur wenige Monate auf dem Papier existieren und als Kaufvehikel bei großen Geschäften eingesetzt werden. Jener Milliardendeal von Stuttgart, der Verkauf von 21.500 Wohnungen der Landesbank Baden-Württemberg an das private Patrizia-Konsortium aus Augsburg vom vergangenen Februar mit Hilfe des prominenten Lobbyisten und Exwirtschaftsministers Walter Döring, war ein solcher Big Deal. Es war im Dezember 2011 gewesen, als die Patrizia solche Blitz-GmbHs als „Akquisitions-Gesellschaften“ gründen ließ, zwei Monate bevor Patrizia den offiziellen Zuschlag bekam. So viel Vorlauf müsse sein, auch ohne offiziellen Auftrag in der Tasche, sagt das Immobilienunternehmen aus Augsburg. GmbH-Gründungen brauchen Zeit.
Mieterrechte angeblich „extrem gestärkt“
Mittlerweile sind die Blitze längst Geschichte. Seit dem vergangenen April haben die Akquisitions-Gesellschaften zum Kauf der LBBW Immobilien GmbH einen neuen Namen. Leben in Baden-Württemberg heißt jetzt „Süddeutsche Wohnen Management GmbH“ Und diese „Südewo“ hat, kaum dass die Tinte unter den Verträgen trocken war, erst einmal Post verschickt. Sehr freundliche Post. Darin war von jener so kontrovers debattierten Sozialcharta die Rede gewesen, welche laut Südewo die Mieter „zukünftig über das gesetzliche Maß hinaus schützt“ und „extrem stärkt“. Laut Gesetz dürfen bis zu 20 Prozent Mieterhöhung innerhalb von drei Jahren sein, laut Sozialcharta maximal 3 Prozent plus Inflationsrate pro Jahr. Allerdings – und das ist der Haken – „durchschnittlich“ bezogen auf alle Wohnungen. Ausreißer nach oben sind möglich. Und sie sollten nicht lange auf sich warten lassen.
In Teilen von Stuttgart flatterten die ersten Mieterhöhungen den verdutzten Bewohnern schon wenige Tage nach dem Milliardendeal auf den Tisch. Manche von ihnen hatten von der Vorgängergesellschaft schon 10 Prozent aufgedrückt bekommen. Jetzt legten die neuen Besitzer mit ihrer Sozialcharta im Gepäck nochmals 9 Prozent drauf. Das waren – in Einzelfällen – 19 Prozent in 15 Monaten. Spätestens jetzt ahnten die Betroffenen, was die wortreich versprochene „extreme Stärkung“ ihrer Rechte auch bedeuten konnte.
Nach den Schwaben war der badische Landesteil an der Reihe. Dort darf sich mancher Mieter seit Juli 2012 über eine Ankündigung von mehr als 8 Prozent Mieterhöhung freuen. Die neue Patrizia-eigene Süddeutsche Wohnen Management GmbH begründet solche Steigerungen über dem versprochenen 3-Prozent-Durchschnitt mit einer „Anpassung an den ortsüblichen Stand“. Widerspruch ist natürlich nicht zwecklos, nur für diesen Fall lässt die Südewo ihre Kunden ausdrücklich wissen: „Sollten Sie dem Erhöhungsverlangen (…) nicht zustimmen, so besteht für den Vermieter (…) die Möglichkeit, (…) Klage beim zuständigen Amtsgericht zu erheben.“
Was sie ihren Kunden und deren Geldbeuteln zumutet, scheint die Südewo sehr wohl zu ahnen. Ihre Schreiben enden stets mit dem freundlichen Standardsatz: „Aufgrund der Erhöhung Ihrer Miete haben Sie möglicherweise einen Anspruch auf Wohngeld. Wenden Sie sich bitte an das für Ihren Wohnbezirk zuständige Wohnungsamt.“
Die soziale Schieflage verschärft sich immer weiter. Erst unlängst wurde ausgerechnet im vermeintlich so blendend dastehenden und wirtschaftsstarken Musterland Baden-Württemberg eine beängstigende Statistik veröffentlicht. Die Zahl der für weite Teile der Bevölkerung noch bezahlbaren Sozialwohnungen hat sich landesweit von 137.000 im Jahr 2002 auf nur noch 62.000 im Jahr 2010 mehr als halbiert. Eilig hat deshalb die grün-rote Landesregierung erst einmal die jährlichen Landesmittel im sozialen Wohnungsbau auf 36 Millionen Euro verdoppelt.
Auf Fragen zu den hohen Mietsteigerungen erklärt die Südewo, dies sei „möglich“, doch die in der Sozialcharta genannten 3 Prozent bezögen sich „nicht auf einzelne Mietverträge, sondern auf den Durchschnitt insgesamt“. Nachfragen, wie viele Mieter denn außerhalb des Durchschnitts liegen, blieben unbeantwortet.
Der Konsortialführer Patrizia, unter dessen Leitung Pensionsfonds und Sparkassen die Wohnungen für 1,435 Milliarden Euro vergangenen Februar gekauft hatten, verweist auf die „eigenständige“ Geschäftsführung durch die Südewo. Dort würden „alle dem Tagesgeschäft zuzuordnenden Angelegenheiten selbständig wahrgenommen“. Da drängt sich die Frage auf, ob oder welche strategischen Vorgaben der neue Eigentümer seiner eigenständigen Gesellschaft macht. Gibt es Renditevorgaben? Laut Patrizia nicht. Denn, so die Antwort aus der Augsburger Konzernzentrale, „unsere Investoren sind vornehmlich am Werterhalt ihrer Investition und an einem stabilen und langfristig erzielbaren Cash-Flow interessiert“. Deshalb gebe es – so wörtlich – „keine auf Jahresbasis bezogenen Renditevorgaben“. Mehr Antwort gibt es nicht.
„Das ist Wahnsinn“, sagt ein betroffener Mieter aus der Stuttgarter Hildebrandstraße. „Hier in der Nachbarschaft leben einfache Zugbegleiter, Rangierer, die noch Boiler im Bad haben und Spülsteine in der Küche. Wie sollen die denn das zahlen?“ Das weiß keiner so genau. Sicher aber ist: Für viele wird es nicht leistbar sein.
Das Team der Journalistik-StudentInnen aus Eichstätt (in alphabetischer Reihenfolge): Moritz Diethelm, Sebastian Driemer, Lisa-Lina Ewert, Daniela Frietinger, Lukas Glaser, Isabel Hahn, Matthias Hohn, Andreas Holzapfel, Markus Joachim, Elisabeth Koblitz, Gerrit Kubicki, Frederike Meister, Paul Middelhoff, Felix Mildner, Jonathan Reinders, Lea Reinhard, Allan Riedel, Sarah Rottmair, Fabian Scheler, Martin Georg Schön, Christian Schullerus, Fabian Spengler, Fabian Thalmaier, Deborah Urban und Lisa Wolf Foto: Meinrad Heck
Von der Landesregierung verlassen
Noch gibt es im Nordbahnhofviertel das, was man günstigen Wohnraum nennt. Das wird nicht mehr lange so bleiben, prophezeit Günther Krappweis, Sprecher der Mieterinitiative LBBW-Patrizia. Auch die Mieten der bisher nicht von Erhöhungen betroffenen Wohnungen am Nordbahnhof, dem zukünftigen „Filetstück“ gleich in Anbindung an das neu entstehende Rosensteinviertel, würden spätestens 2020 saftig in die Höhe schießen. Krappweis ist empört: „Wir haben uns auf die Landesregierung verlassen, und die hat nun uns verlassen“, sagt er und kündigt an, er werde im laufenden Wahlkampf die OB-Kandidaten einschalten.
Schon greift die Patrizia nach dem nächsten großen Stück Kuchen. Wie die LBBW hat die EU auch die BayernLB wegen der Finanzkrise dazu verdonnert, sich von ihrem Wohnungsbestand zu trennen. In München geht es um 33.000 Wohnungen der BayernLB-eigenen GBW-Gruppe. Und auch dort hat die Patrizia ihren Fuß in der Tür. Und wie in Stuttgart regt sich heftiger Widerstand gegen den Verkauf an ein Privatkonsortium. Quer durch alle Parteien – ausgenommen die FDP – sähe man es lieber, der Wohnungsbestand würde in öffentlicher Hand bleiben. Schon überlegt sich der Freistaat deshalb, eine eigene Investorengesellschaft zu gründen.
Der Fall Bayern ist allerdings noch in einem relativ frühen Stadium. Ein Bieterverfahren hat noch nicht begonnen. Und fast alle politischen Mandatsträger wollen das Mieterinteresse über das Gewinnmaximierungsinteresse eventueller Käufer stellen. 2013 sind Landtagswahlen. Und es gibt einen wesentlichen Unterschied zu Baden-Württemberg. An der Isar präferieren sie eine sogenannte Sozialcharta plus. Noch existiert ein solches Papier nicht in seiner endgültigen Fassung, aber die Bayern wollen eine Sozialcharta nicht nur – wie in Baden-Württemberg – zum Bestandteil eines Kaufvertrags machen, sondern sie in jedem einzelnen Mietvertrag rechtlich bindend verankern. Ohne eine solche Festschreibung, sagen Fachjuristen, „reden wir nur über heiße Luft“.
PS: Dieser Text basiert auf Recherchen von 25 Journalistik-StudentInnen des dritten Semesters an der Katholischen Universität Eichstätt im Rahmen einer vom Autor geleiteteten Recherchewerkstatt.