piwik no script img

Die Schönheit der Baustelle

Bilder von unkontrollierbarem Bastelwerk und farbenfrohen Konstruktionen: Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt großformatige Fotoarbeiten der US-amerikanischen Künstlerin Barbara Kasten und des Deutschen Ulrich Hensel

Von Bettina Maria Brosowsky

So geht es also auch: kein Presserundgang – donnerstags, 11.15 Uhr, aus zeitlicher Rücksicht auf anreisende Hauptstadtkolleg*innen – und keine abendliche Vernissage mit Partytime. Dafür zwei sorgsam installierte Ausstellungen, die dank Corona-Schließung noch vor ihrer offiziellen Eröffnung in Dornröschenschlaf fielen und vielleicht deshalb jetzt mit gewisser Frische, zumindest aber intensiver Farbigkeit punkten können: Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt aktuell großformatige Fotoarbeiten der US-amerikanischen Künstlerin Barbara Kasten und des Deutschen Ulrich Hensel.

Beiden ist gemeinsam, dass sie einem breiten Publikum wohl kaum bekannt sind, sie also eher zur Kategorie des nur unter Insidern sowie Künstlerkolleg*innen geschätzten „Artist’s Artist“ zählen. Und beide sind auch nicht mehr ganz jung: Kasten wurde 1936 in Chicago geboren, wo sie mittlerweile wieder lebt und arbeitet, Hensel kam zehn Jahre später in Düsseldorf zur Welt, und auch er ist seiner Heimatstadt treu geblieben.

Bei der Kombination „Fotografie“ und „Düsseldorf“ assoziiert wohl jede*r die sogenannte Becher-Schule des gleichnamigen Ehepaares, das ab Mitte der 1970er-Jahre an der lokalen Kunstakademie eine ganze Generation erfolgreicher Fotokünstler*innen prägen konnte. Unter ihnen sind bildgewaltige Superstars wie Candida Höfer, die beiden Thomas’Ruff und Struth oder Andreas Gursky.

Materielle Fakes

Derartige Ausbildung hat Hensel nie genossen, er ist fotografischer Autodidakt, studierte neben Kunst und Film auch Psychologie. In den 1980er-Jahren lebte er aber einmal mit Gursky in gemeinsamer WG, seitdem gilt jener als Bewunderer der obsessiven thematischen Schlüssigkeit Hensels. Denn den zieht es seit über zwei Jahrzehnten ausschließlich auf größere Baustellen, meist in Düsseldorf.

Was er dort aber erblickt und zu maßstabsgetreu immensen, analog fotografierten Tableaus verdichtet, hat nichts mehr mit handwerklichem Ethos, gar einer Heroik menschlicher Arbeit zu tun. Es sind nämlich diese modernen Baukonstruktionen, die mit extrudierten Schaumstoffen, Folien, Geweben und das alles zusammenhaltenden Befestigungssystemen vielleicht avancierten Anforderungen aktueller Bauphysik genügen mögen, in ihren Schichtungen und Fügungen aber wie außer Kontrolle geratenes, riesiges Bastelwerk anmuten.

Ulrich Hensel illustriert mit seinen Fotos eine herabgewirtschaftete Baukultur, die nur noch Blendwerk zusammenzulaminieren vermag

Diesem gewinnt Hensel nun formale Kompositionen ab: Von einem mit Materialtexturen angereichertem Konstruktivismus à la Mondrian bis hin zu minimalistischen Erzählungen irritierender Ratlosigkeit. Beabsichtigt oder unfreiwillig, illustriert Hensel so eine herabgewirtschaftete Baukultur, die nur noch Blendwerk zusammen zu laminieren vermag, im maximalen Falle in der Oberflächenstärke einer sichtbaren Mauerwerksschale. Dieses Bauen als materieller Fake verankert Hensel auf dem Boden der Tatsachen: Stets bildet ein Streifen horizontalen Baugrunds die Basis dieser verkommenen Gewerke, gleichermaßen absurde wie dekorative Interpretationen anregend.

Als vorrangig „dekorativ“, um ein vernichtendes Urteil eines US-Kritikers zu zitieren, ist man geneigt, viele der späten Arbeiten von Barbara Kasten zu empfinden. Dabei kann die Künstlerin mit einer üppigen Palette ästhetischer Ideen, Medien sowie Materialien aufwarten. Gerade ihre Frühwerke, die zum Glück in Wolfsburg zu sehen sind, gingen so eigenständig wie berührend immanenten Fragen künstlerischer Disziplinen und zeitgeschichtlicher Selbstverortung nach.

Da wäre aus den 1970er-Jahren ihre Reihe der „Seated Forms“: Stühle, etwa ein Kaffeehaus-Klassiker von Thonet, besetzt Kasten mit handgewebten Sisal-Skulpturen, deren Formen üppige weibliche Rundungen nachvollziehen. Isolierte Brüste, Hinterteile, Oberschenkel ergießen sich über die Sitzgelegenheiten, quellen darüber hinaus. Durchgehend in starke Farben gefasst, bilden sie monolithische Objekte, hinterfragen so eine nicht erst seit Bauhaus-Zeiten den Frauen zugewiesene Textilkunst aber auch die gesellschaftlich unerschütterliche, statische Rolle des Weiblichen, allen 1968er-Befreiungen zum Trotz.

Kasten konzipierte keine platt feministische Kunst körperlicher Selbstentäußerung, auch nicht in einer anschließenden Serie von Fotomontagen. Hier ist es ein nacktes Modell, das mehr oder weniger exhibitionistische Posen auf einem Stuhl vollbringt. Fotografische Aufnahmen wurden anschließend auf Lichtpauspapier, dem damals in technischen Disziplinen üblichen Vervielfältigungsmedium der Blaupause, ausbelichtet, dabei mit Rastern und transparenten Flächen überlagert.

Dieser thematische wie mediale Abstraktionsprozess bildete den Umbruch ins Kastens Schaffen. Seitdem arbeitet sie an der Überführung dreidimensionaler Wirklichkeiten in das zweidimensionale fotografische Bild. Dabei fällt der Fotografie nicht die Rolle des simplen Abbildes zu, sie ist die inszenatorisch dirigierende Instanz für immer opulenter gewordene Arrangements im Studio oder auch in postmodernen US-Architekturen.

Wieder sind es eher die frühen Arbeiten, die Interesse wecken, wie die verhaltene Schwarz-Weiß-Serie „Amalgam Untitled“. Glasflächen, deren Schnittkanten, Interferenzen mit Drahtgeweben, Opakes, Schatten, Spiegelungen erinnern an Foto-Experimente am Bauhaus unter László Moholy-Nagy oder, ganz offensichtlich, die Arbeiten einer Florence Henri, die 1927 bei ihm studiert hatte.

Kitzel fürs Auge

Multikünstler und Theoretiker Moholy-Nagy soll dann auch umfassender Referenzrahmen Kastens sein, sogar für ihre grellbunten späten Arbeiten aus fluoreszierendem Acrylglas. Sie vollzieht in ihrer Serie „Progression“ nun an ihrem „in der Kamera aufgebauten Bild“, so die Künstlerin, eine „skulpturale Erweiterung“, indem sie dem großen, farbintensiven Fotoprint dreieckige oder rechtwinklige Flächen aus identischem Material aufsetzt. Das transparent farbige, dreidimensionale Flächenwerk wirft nun seinerseits bunte zweidimensionale Schatten auf das ähnlich konstruierte Fotomotiv – ein visueller wie auch kognitiver Kitzel unserer Sehgewohnheiten, zweifelsohne.

Dieses farbenfrohe Ausstellungsdoppel ist derzeit das Notprogramm im Kunstmuseum Wolfsburg, das sein ursprünglich für Mai geplantes Vorhaben „Macht! Licht!“ zur politischen Dimension künstlicher Beleuchtung um mehr als ein Jahr verschieben musste. So wartet man also immer noch auf die erste diskursive Themenausstellung für die verwaiste große Ausstellungshalle unter ihrem neuen Direktor, sie waren einst ja das Markenzeichen des Hauses.

„Barbara Kasten. Works“ und „Ulrich Hensel. Zwischenwelten“: bis 8. 11., Wolfsburg, Kunstmuseum

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen