: Niederlande ziehen deutsche Studenten ab
Bessere Betreuung, frei zugängliche Studiengänge: Immer mehr Deutsche studieren in den Niederlanden, viele davon kommen aus NRW. Warum? Weil die Niederländer sie locken. Und weil Rüttgers Studiengebühren einführen will
NRW taz ■ Die Niederlande sind im Kommen. Rund 8.500 Deutsche werden im nächsten Semester an den mehr als 70 Hochschulen des Nachbarlandes studieren. Viele davon aus NRW. Und weil Jürgen Rüttgers weiterhin plant, Nordrhein-Westfalens Studenten zur Kasse zu bitten, werden in den kommenden Jahren voraussichtlich immer mehr Abiturienten abwandern. Denn obwohl man auch jenseits der deutsch-niederländischen Grenze für Bildung blechen muss, kommen Studenten dort unter dem Strich besser weg. Zumindest wenn sie aus Deutschland kommen.
Die Niederlande verlangen rund 1.500 Euro pro Studienjahr. Deutschen allerdings werden vom Staat etwa 900 Euro erstattet. Macht 600 Euro pro Jahr. Nach den derzeitigen Planungen der schwarz-gelben Landesregierung sollen Nordrhein-Westfalens Studenten rund 1.000 Euro für ein Jahr locker machen. Peter Stegelmann, Chef beim Bildungsberater EDU-CON in Rheine, rechnet damit, dass die Ersparnis ein zusätzlicher Ansporn für deutsche Studenten sein könnte, in das Nachbarland zu gehen. „In den nächsten Jahren werden die Gebühren bestimmt zu Buche schlagen“, sagt Stegelmann. Auch weil die Niederländer in Deutschland werben würden. „Das spricht sich rum.“
Mit „das“ meint Stegelmann auch die zahlreichen Vorteile, mit denen niederländische Hochschulen Studenten aus Deutschland locken. Viele Studiengänge, deren Zugang hierzulande mit einem Numerus Clausus beschränkt wird, sind in den Niederlanden frei zugänglich. Psychologie zum Beispiel. Außerdem sei der Kontakt zwischen Professoren und Studenten enger. „Manche Professoren darf man abends noch auf dem Handy anrufen, wenn es Probleme gibt“, sagt Stegelmann. Die Dozenten würden sich zudem eher als Begleiter verstehen, „wie ein Coach beim Fußball“. Im „problemorientierten Unterricht“ arbeiten die Studenten dann weitgehend selbständig, in vier Blöcken à zehn Wochen.
Hannah Cosse aus Rheine ist eher zufällig an die Universität Twente in Enschede gekommen. Die 22-Jährige studiert Public Administration. Die Münsteraner kooperieren mit den Niederländern, so dass Cosse beide Seiten kennt. Drei Jahre hat sie nun an der Universität in Enschede verbracht – und bereut es keineswegs: „Es gefällt mir dort viel, viel besser“, sagt sie. Vor allem, weil man dort dort wesentlich besser betreut werde. Wenn man einem Dozenten eine E-Mail schreibe, bekomme man die Antwort meisten binnen weniger Stunden. In Deutschland sei das anders. „Und die Ausstattung der Uni da ist wirklich Wahnsinn“, schwärmt die Studentin.
Und dass man dort zahlen muss? „Naja“, sagt Cosse, „man ist da schon eher Kunde.“ Allerdings fließe das Geld in die Universitäten. Jeder könne beobachten, wo es hingeht. Und man sei dort mit dem Studium schneller fertig als hier. Deshalb steht für die Studentin außer Frage, ob sie wieder in den Niederlanden studieren würde: „Ich würde sofort wieder dort hingehen“, sagt sie. Denn auch mit ihren Kommilitonen hat Cosse gute Erfahrungen gemacht. Peter Stegelmann weiß, dass das nicht immer so ist: „In der Gegend um Rotterdam gibt es schon noch Vorurteile gegenüber Deutschen“, sagt der Bildungsberater. Weil die Stadt im Zweiten Weltkrieg stark bombardiert worden sei. In Grenznähe sei das aber anders.
Und so avancieren die Niederlande, nach Großbritannien, zum Zweitplatzierten auf der Beliebtheits-Skala deutscher Studenten. Umso besser, wenn man weiterhin in Deutschland wohnt und pendelt. Dann gibt‘s auch noch BAföG und Kindergeld.
BORIS R. ROSENKRANZ