berliner szenen: „Aber ich bin doch kein Esel“
Der Lehrer K. gibt Theaterunterricht an einer Grundschule in Wedding. Fest im Kurrikulum verankert. Die Probe läuft über Zoom. Und wie! Mit welcher Hyperdisziplin! Statt reinzuschreien, macht, wer dran ist, das Mikro ein, wer nicht dran ist, macht es aus. Getuschel? Das war vor Corona. Schimpfwörter? Auch fast vergessen. Es gibt jetzt keine „Opfer“ und „Schwulen“ mehr.
Nur noch Bremer Stadtmusikanten. Bürger, Bürgermeisterin, Räuber, die Tiere. „Aber ich bin doch kein Esel!“, sagt A. „Ich weiß“, beschwichtigt Lehrer K., „es ist nur für heute“. – „Alles klar“, lenkt A. ein. N. kämmt ihr Haar. Dreimal, so andächtig, als übe sie für ihre Influencerzukunft. „Wo ist I. eigentlich?“, fragt der Lehrer. „Sie hat ein neues Baby bekommen!“, weiß A. „Aha, die hat was anderes zu tun.“ Weiter im Unterricht. Die Kids sitzen, wenn sie nicht aufspringen und tanzen, in sehr aufgeräumten Wohnzimmern oder auf akribisch gemachten Riesenbetten. Vom Rest der Familien fliegen allerhöchstens ab und zu ein paar Arabischfetzen oder Babyweinen in die Probe rein, aber das Panorama bleibt ungestört.
Theaterunterricht geht vor. Mal gut, dass nicht alle Klassenstufen zur selben Zeit Theaterunterricht haben, sonst müsste der Senat nicht nur mit ein paar Endgeräten (die auf sich warten lassen) aushelfen, sondern auch mit jeder Menge schalldichter Probenstudios auf den Dächern dieser Stadt. Lohnen würde es sich auf jeden Fall. Die Drittklässler sind gut. Die Tanznummer ist das Highlight. Youtube-reif. Lehrer K. wird in den Schatten gestellt. „Und wann ist wieder Schule?“, fragt A. am Ende. „Wahrscheinlich am 25. Mai.“ – „Nein! Scheiße!“ – „So etwas sagt man nicht.“ – „Aber da hat B. Geburtstag“. – „Wir sehen uns in zwei Gruppen, vielleicht hast du Glück...“ – „Okay, Entschuldigung, alles klar, ich komme.“
Astrid Kaminski
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