: Erzwungenes Paradies
Wo Heinrich Mann „Henri Quatre“ schrieb und Valeriu Marcu provokante Schnoddrigkeiten verteilte: Eine Ausstellung der Münchner Monacensia über deutsche Schriftsteller im südfranzösischen Exil
von ANETT GRÖSCHNER
In den Siebzigerjahren machte Golo Mann die literarischen Nachlässe seiner Geschwister Erika und Klaus der Stadt München zum Geschenk. Sie wurden der Monacensia übergeben, die auf die Nachlässe Münchner Autoren spezialisiert ist. Zusammen mit den Archivalien der Schriftsteller Hermann Kesten, Alfred Neumann und Annette Kolb erzählen sie auch die Geschichte des Exils in einem kleinen Hafenstädtchen an der französischen Mittelmeerküste, in Sanary-sur-Mer, das nach der Machtergreifung Hitlers 1933 für einige Jahre zur „Hauptstadt der deutschen Literatur“ (Ludwig Marcuse) wurde.
Diesen Umstand nahm die Monacensia zum Anlass, in den Räumen des Hildebrandhauses in einer von den Exilforschern Ulrike Voswinckel und Frank Berninger kuratierten Ausstellung über das Exil am Mittelmeer Originaldokumente wie Briefe, Fotos und Erstausgaben aus den Sammlungen zu zeigen. „Diese Sanary-Sommer werden in die Kunstgeschichte eingehen (und vielleicht auch in die Chronique scandaleuse der großen europäischen Bohème)“, schrieben Erika und Klaus Mann ihrem Reisebericht „Das Buch von der Rivera“, das 1931 erschien.
Sie wussten noch nicht, dass ihre Prophezeiung auf ganz andere, tragischere Weise Wirklichkeit werden würde. Zwei Jahre später wurde die Mittelmeerküste Zufluchtsort zahlreicher deutscher Emigranten. Viele von ihnen konnten sich 1933 kaum vorstellen, dass Hitler sich längere Zeit halten könnte. Die Côte d’Azur schien ein guter Ort zum Überwintern. Von hier aus schickte Klaus Mann im Mai 1933 einen Brief an Gottfried Benn, der sich den neuen Führern angedient hatte, um ihn zu bewegen, noch rechtzeitig die Seite zu wechseln. Benn antwortete noch im selben Monat per Radioansprache. „Wie stellen Sie sich denn nun eigentlich vor, daß die Geschichte sich bewegt? Meinen Sie, sie sei in französischen Badeorten besonders tätig?“
Zwar hing an der Côte d’Azur der Himmel nie so tief wie in Berlin, aber die exilierten Schriftsteller hatten ihre Heimat und ihre Sprache verloren und vor allem – ihre Leser. Jahr für Jahr verging, die finanziellen Probleme nahmen zu, auch wenn die französischen Behörden sie bis 1938 unbehelligt ließen. „Die beiden Zentren der literarischen Emigration in Südfrankreich sind Nizza und Sanary-sur-Mer. In Nizza sitzt Heinrich Mann in seiner kleinen Wohnung und arbeitet an seinem ‚Henri Quatre‘. (…) Nach dem Essen geht man in eines der großen Cafés an der Place Masséna, wo die emigrierte Literatur fast ebenso reichlich vertreten ist wie in den ‚Deux Magots‘ am Boulevard St. Germain. (…) René Schickele gehört zu den Ansässigen. (…) Valeriu Marcu ist da. Flott und lebemännisch – obgleich natürlich auch er in Geldsorgen steckt –, von etwas balkanhafter Eleganz (…) wirft er mit provokanten Schnoddrigkeiten und zweideutigen Paradoxen um sich“, schrieb Klaus Mann in seinen Erinnerungen „Der Wendepunkt“ über die Zeit an der Côte d’Azur.
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden die deutschen Emigranten als unerwünschte Ausländer in Lagern wie Les Milles interniert. Mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Frankreich 1940 verschärfte sich die Situation weiter. Plötzlich konnte für die meist Staatenlosen ein Ausreisevisum aus Frankreich über Leben und Tod entscheiden.
Seiner Bedeutung gemäß nimmt das amerikanische Emergency Rescue Committee einen großen Raum in der Ausstellung ein. Im August 1940 schickte es den Journalisten Varian Fry nach Marseille, in der Tasche die Namen von 200 zu rettenden Emigranten. Aus den drei geplanten Wochen wurden dreizehn Monate bis zur Ausweisung durch die französischen Behörden. „Sie müssen sich vorstellen: die Grenzen waren gesperrt, man saß in der Falle, jeden Augenblick konnte man von neuem verhaftet werden“, schrieb Hans Sahl später, als er glücklich gerettet war, „– und nun steht da plötzlich ein junger Amerikaner in Hemdsärmeln, stopft dir die Taschen mit Geld voll, legt den Arm um dich und zischelt mit schlecht gespielter Verschwörermiene: ‚Oh, es gibt Wege, sie herauszubringen …‘ “
Varian Fry wurde zum Schutzengel für mehr als 1.500 Menschen, denen er unter ungünstigsten Bedingungen zur Flucht aus Südfrankreich verhalf. In der Ausstellung erzählt ein Film das weitere Schicksal Frys, der in den Zeiten McCarthys kommunistischer Umtriebe bezichtigt und erst lange nach seinem Tod geehrt wurde. Neben Varian Fry wird auch die Fluchthelferin Lisa Fittko und ihr Ehemann gewürdigt, die vielen Emigranten selbstlos die Flucht über die Pyrenäen ermöglichten. Einige hielten dem Druck nicht stand und brachten sich um, wie etwa Walter Benjamin oder Walter Hasenclever. Andere starben an unspezifischen Krankheiten oder sehnten sich nach dem Tod, wie Valeriu Marcu, der am 17. Juni 1938 an seinen Freund Hermann Kesten schrieb: „Ich habe nur den einen Wunsch (es wird eine List der Natur sein), mein Buch zu beenden und dann so sanft als möglich zu sterben.“ Er starb vier Jahre später, 43-jährig, von Varian Fry glücklich gerettet in New York, eines Abends aus heiterem Himmel. Und wurde danach zu Unrecht vergessen.
Wer sich für Schriftsteller im Exil interessiert, kommt an dieser, von der Gestaltung her angenehm altmodischen Ausstellung, für deren Lektüre man sich Zeit nehmen sollte, nicht vorbei. Jenen, denen der Weg in das Münchner Hildebrandhaus zu weit ist, ist der von den Kuratoren Ulrike Voswinckel und Frank Berninger herausgegebene Katalog, der die bisher erschienene Literatur über das Exil in Frankreich um einige neue Facetten bereichert, wärmstens empfohlen.
„Exil am Mittelmeer. Deutsche Schriftsteller in Südfrankreich 1933 bis 1941“. Eine Ausstellung der Monacensia München, noch bis 18. 11. 2005. Weitere Infos unter: www.muenchen.de/monacensia Anlässlich der Ausstellung ist ein gleichnamiger Katalog erschienen, hrsg. von Ulrike Voswinckel und Frank Berninger, edition monacensia, 283 S., 26 Euro