berliner szenen: Sieht aus wie eine Coronaparty
Es ist später Nachmittag und ich laufe mit den Einkäufen für meine Mutter durch die kleinen Straßen. Inzwischen nehme ich aus Gründen der Abwechslung jedes Mal andere Wege zu meinen immer gleichen Zielen, dem Supermarkt, der Wohnung meiner Mutter oder der meiner Großmutter.
Die Sonne scheint, und es ist warm. Ich habe meine Sonnenbrille aufgesetzt und vor lauter Frühlingsgefühlen nackte Beine unter meinem Rock. Sie leuchten bei jedem Schritt wie weißer Spargel und ich schaue den Entgegenkommenden erwartungsfroh ins Gesicht. Aber nichts – niemand schaut zurück. Man macht bloß einen großen Bogen umeinander, und in dem Moment, in dem man sich sonst angesehen hätte, schauen die anderen zu Boden.
Ich bin seltsam enttäuscht. Dass Social Distancing auch den Blickkontakt betrifft, finde ich traurig.
Als ich eine große Straße überquere, stehen da auf dem mittleren Grünstreifen zwei Männer in Zweimeterabstand voneinander vor den Blumenrabatten. Beide halten eine Bierdose in der Hand und blicken sinnierend in die lila und gelben Stiefmütterchen. Das Bild ist niedlich. Im Vorbeigehen sehe ich vielleicht etwas zu lange hinüber, und da sieht der eine auf, hebt seine Dose und prostet mir zu.
„Prost. Sieht aus wie eine Coronaparty“, rufe ich und lache.
„Noch nicht“, antwortet der Zuproster.
„Erst wenn Sie dazukommen. Wir haben sogar noch ’n Bier.“
„Und ’ne schöne Aussicht“, ruft der andere und zeigt mit der Dose auf die Blumen.
„Sehr verlockend“, sage ich, „vielleicht ein anderes Mal.“
„Wir freun uns drauf“, ruft der Erste, und ich wünsche den beiden noch einen schönen Abend. Als ich weitergehe, muss ich lachen, weil ich mich doch wirklich gern dazugesellt, ein Dosenbier getrunken und mit den beiden auf die Blumen auf dem Mittelstreifen geguckt hätte.
Isobel Markus
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