: „Ich wollte nie Popstar werden“
MUSIK ODER KUNST Früher war sie Punk, heute malt sie Punkte. Anja Huwe, ehemals Sängerin der Hamburger Band „X mal Deutschland“, kann Farben hören und sagt, sie male jetzt Musik. Und die ist so bunt wie ihre Bilder
■ 52, Fotografin und Künstlerin, war Anfang der 80er-Jahre die Sängerin der Hamburger All-Girl- und Postpunk-Band X mal Deutschland, die neben DAF die erste aus der deutschen Punk-Szene war, die internationale Anerkennung bekam. Später ging sie mit der Band nach London.
■ Mitte der 90er-Jahre machte sie das erste Techno-TV-Format „Housefrau“ für den Musiksender Viva.
■ Danach ging sie zurück zur Kunst, lebte in New York und London. Heute wohnt sie wieder in Hamburg und malt ausschließlich Punkte, Kreise und Ellipsen und liebt die Philosophie des Kreises.
INTERVIEW: LENA KAISER
taz: Frau Huwe, war Hamburg mal die Hauptstadt des deutschen Punk?
Anja Huwe: Hamburg war schon eine Hochburg für recht harte Musik. Das lag zum einen an der norddeutschen Sprache, außerdem fanden hier sehr starke Charaktere zusammen. Bands wie Abwärts oder Slime waren mehr oder weniger die Protagonisten, sie waren die wirklich wichtigen Bands und standen sowohl durch ihre Präsenz und ihre Musik als auch durch ihre Texte für Hamburg – nur Berlin kam dem nahe.
Wie wirkte sich diese „harte Musik“ konkret aus?
Es ging einzig und allein darum, anders zu sein als alle anderen. Optisch, aber auch musikalisch. „Kommerziell“ war ein böses Wort, wir alle haben immer alles abgelehnt und den anderen Weg gesucht. Das kommerzielle Denken war bei uns überhaupt nicht angesagt, und im Verhältnis zu britischen Bands – unseren musikalischen Vorbildern, denn Punk kam aus England – ging es uns ja geradezu super hier in Deutschland. Wer in England in einer Band spielte, der wohnte meistens in einem besetzen Haus ohne Heizung, hatte eine Hose, ein paar Schuhe, seine Gitarre und das war’s. In England gab es nur Musik oder Fußball, um aus elenden Verhältnissen herauszukommen.
Das war in der Hamburger Szene nicht so?
Hier hatten sie alle eine gute Bildung, wohnten mit ihren Freunden in einer WG und gingen jeden Abend aus oder auf Konzerte. Die Markthalle war musikalisch ein wichtiger Ort. Irgendwie ging es immer. Das war eine ganz andere Zeit. Dieser relativ elitäre Gedanke „Ich mach das so wie ich das will“ – kam auch daher, dass wir uns das erlauben konnten.
Punk war elitär?
Wir waren sehr kompromisslos. Auf Fotos stellte man sich nicht in den Fokus, trat immer als Band auf, als Gesamtkonzept. Das läuft ja heute total anders. Es gibt eine Band, aber der Fokus liegt immer auf der Frontperson. Wir haben zu all dem immer Nein gesagt. Ab und zu hätte man etwas diplomatischer sein können.
Sie waren nicht die Frontfrau?
Doch, schon, aber eigentlich wollte ich das nicht. Ich wollte nie ein Popstar werden. Ich war Teil dieser Band und habe sie als Mittel zum Zweck, als Form von Kunst gesehen. Das brachte mich hinaus in die Welt, die Musik hat die Tore geöffnet. Dann habe ich aber gemerkt, dass ich zwangsläufig im Vordergrund stehen muss. Und dann fing der Druck an – mit der Plattenfirma und in der Band.
Das Goethe-Institut hat schon Anfang der 80er den Punk entdeckt. Man hat Ihre Band zusammen mit den Toten Hosen und den Einstürzenden Neubauten nach Rom eingeladen.
Dabei ging es nicht allein um Musik – da gab es eine deutsche Woche in Rom, bei der alle möglichen deutschen Bands spielten. Aber auch bekannte andere Kulturtreibende waren dabei: Rainer Werner Fassbinder, Ingrid Caven, Rainald Goetz, einige junge deutsche Maler, Wirtschaftswunder, Tom Dokupil – der Stern der „Neuen Wilden“ ging auf. Es war ein Who’s who – sehr aufregend. Zu der Zeit konnte man über das Goethe-Institut richtig viel machen, Bands bekamen Einladungen und spielten in den Goethe-Instituten rund um den Globus.
Aber die Toten Hosen haben doch was ganz anderes gemacht als Sie, das war doch Fun-Punk.
Musikalisch war das schon was anderes, aber wir haben ja die gleichen Wurzeln. Die Toten Hosen wohnten bei uns, wenn sie in Hamburg waren. Unsere riesige Wohnung in der Hein-Hoyer-Straße, in den Ex-St.-Pauli-Nachrichten, war das Asyl für fast alle durchreisenden Bands. Ich wohnte da mit Klaus Maeck, der heute mit Fatih Akin zusammenarbeitet, Christiane F. und Teilen der Einstürzenden Neubauten.
Irgendwann ist der harte, düstere Punk dann unter die Räder gekommen.
Punk war nicht düster, X Mal Deutschland waren es! Ich bin mit Punk musikalisch aufgewachsen und habe anfangs im Plattenladen „Rip Off“ gearbeitet, da war das Motto: „Keine Mark der Plattenindustrie“. Da haben viele Leute aus der Szene gearbeitet, der Laden hing auch mit dem Label Zick Zack zusammen. Es gab das Krawall, später das Subito, aber es war eine relativ kurze Zeit wirklich aufregend und innovativ. Dann kam die Neue Deutsche Welle mit Nena und der „Ich will Spaß“-Fraktion auf – und X mal Deutschland gingen dann genau zur richtigen Zeit nach England. Damit wollten wir nichts zu tun haben.
Und dann?
Es gab in England keine andere Band, die deutsch sang. Wir wirkten für die total teutonisch, unnahbar – die haben uns mit offenen Mündern angestarrt. Wir haben das Bild der Engländer von Deutschen komplett erfüllt. Musikalisch waren wir denen mit den sehr harten Gitarren sehr ähnlich, allerdings mit deutschen Texten, die sie als „Wall of Sound“ wahrnahmen. Wir waren total hip und tourten sehr viel durch Großbritannien, später auch weltweit.
Anfang der 1990er-Jahre hat sich X mal Deutschland aufgelöst. Haben Sie die Musik ganz an den Nagel gehängt?
Als sich die Band auflöste, hatte ich noch einen Vertrag mit Chapell Music, demselben Verleger wie Björk, die sich zur gleichen Zeit von ihrer Band Sugarcubes trennte, um ihre Solokarriere zu starten. Mein Verlag erwartete gleiches von mir. Ich wollte diesen Weg aber nicht gehen. Der Preis für so eine Solo-Karriere war mir zu hoch.
Also wollten Sie mit der Musik kein Geld verdienen?
Doch, und das haben wir auch. Aber auch wir haben, wie viele andere Bands, Verträge unterschrieben, die man nach heutigen Maßstäben als sittenwidrig bezeichnen kann. Aber woher willst du wissen, dass deine Band je erfolgreich sein wird. Du kriegst von einem Label einen Vertrag, und die sagen, wir machen ein paar Platten, das ist dann erst mal toll. Du gehst ja nicht davon aus, dass das richtig losgeht. Aus diesem Grund bin ich übrigens heute auch Schirmherrin von Rockcity Hamburg – hier werden junge Künstler beraten und unterstützt, damit sowas vermieden wird.
Sie sind zurückgegangen zur Bildenden Kunst. Konnten Sie dort von Ihren Erfahrungen in der Musikszene profitieren?
Mit der Kunst ist das für mich was anderes, ich bin keiner Gruppe verpflichtet. In der Kunst habe ich etwas gefunden, das ich vorher vermisst habe. Ich bin relativ autark. Die Kunstwelt funktioniert anders, weil es da um sehr viel Geld geht. Und weil das so ist, kommuniziert man auch anders untereinander. Es gibt sehr viele Künstler, aber nur wenige, die davon leben können. Da kommt viel Missgunst auf. Aber für mich erfüllt es das, was ich immer gesucht habe.
Was genau?
Mit Farbe zu arbeiten und auch zu erkennen, dass ich immer anders war. Irgendwann habe ich verstanden, dass Farbe und Musik für mich untrennbar verbunden sind. Ich bin Synästhetikerin, das ist eine Verknüpfung der Sinne. Bei mir sind das Augen und Ohren.
Wie kann man sich das vorstellen?
Ich kann Farben hören, allerdings vor meinem geistigen Auge. Viele Künstler kennen dieses Phänomen. Heute male ich also Musik.
Jetzt mögen Sie Farben und lehnen das Monochrome ab?
Nein, ich lehne es nicht ab, aber heute bin ich eher farbig. Der Mensch entwickelt sich ja weiter. Ich will schon seit Jahren ein Bild machen, das monochrom ist, aber ich krieg es nicht hin. Weil ich „es“ verstehe, finde ich es langweilig. Die Kombination von Farben verändert die Farben – und klingt für mich.
Lag das Schwarz-Weiß-Denken am Punk?
Eher an der Haltung. Punk war ja sehr bunt. Alles drumherum war schillernd. Nur wir waren das nicht, wir kamen ja eher existenzialistisch und düster rüber.
Ist es ohne den scharfen Kontrast denn möglich, unangepasst zu sein?
Das hat sich geändert. Wenn du wirklich gegen den Strom schwimmen willst, musst du dir das erlauben können, also finanziell relativ unabhängig sein oder ein zweites Standbein haben. Heute ist es härter, gleichzeitig sind die Chancen aber größer, sich über Medien zu verbreiten. Heute mache ich Bildende Kunst, und meine Erfahrung mit der Musik hilft mir oft, Dinge einschätzen zu können. Leute werden entdeckt, weil es gerade Trend der Zeit ist oder weil sie gut sind, das will ich nicht beurteilen. Die Kunstwelt ist wie eine Börse.
Und das ist für Sie interessant?
Ich verkaufe meine Bilder weltweit, ich arbeite mit dem System. Aber ich habe auch hier meinen eigenen Weg gefunden. Ich versuche zumindest, mich zu arrangieren.