Crazy for Mary

Wie ein – zugegebenermaßen großes – Schiff es schafft, in der altehrwürdigen Hafenstadt Hamburg für Aufsehen zu sorgen

von Sven-Michael Veit

„Ganz Hamburg ist seit Wochen verrückt nach Mary“, schwärmte gestern die Korrespondentin ebenjener deutschen Presseagentur, die gemeinhin in der Drögheit ihrer Formulierungen sich von niemandem überbieten lässt. Aber an einem solch königlichen Tag wird hanseatische Nüchternheit eben an die Kette gelegt und der Fabulierlust mehr Raum gegeben, als ihr gut tut,

Die „Queen Mary 2“ also, so ist zu berichten, stelle alle bisher gebauten Passagierschiffe „in den Schatten“, schließlich sei das „teuerste Schiff aller Zeiten“ mit 345 Metern wahlweise „so lang wie der Eiffelturm hoch ist“ oder „länger als vier Jumbo-Jets“ – und sogar länger als vier A 380, aber das ist wohl mal wieder eine der ebenso unvermeidbaren wie standortschädigenden taz-Mäkeleien – mit 41 Metern „so breit wie die Glaskuppel des Reichstagsgebäudes“ und mit 74 Metern sogar „höher als die Niagara-Fälle“ und selbst „als die Freiheitsstatue in New York“.

Kein Wunder mithin, dass der ohnehin nicht als schweigsam geltende Chef der Hamburg-Touristik, Dietrich von Albedyll, geradezu im Redefluss badete: „Eine halbe Million zusätzlicher Besucher“ habe das Kreuzfahrtschiff nach Hamburg gelockt, hat er nachgezählt, und die hätten Handel und Gastgewerbe „rund 40 Millionen Euro in die Kassen gespült“, rechnete von Albedyll mit glänzenden Augen vor.

Bereits im Morgengrauen hatten sich mehrere zehntausend Menschen entlang des Hamburger Elbgestades aufgereiht, um dem Einlaufen der Queen zu ihrer eintägigen Visite in Hamburg beizuwohnen. Mehr als 400 Schiffe, Barkassen, Jollen, und was sonst noch schwimmen kann, begleiteten sie zum Liegeplatz am Grasbrook.

Selbst die Umweltschützer von Greenpeace ließen sich nicht lumpen und begrüßten die Königen der Wogen schlauchbootgestützt mit „Welcome“-Bannern. Denn die Herrin der Queen, die britische Cunard-Reederei, hatte sich 1999 nach Greenpeace-Protesten gegen die kleine Schwester „Queen Elizabeth 2“ zum Verzicht auf Tributylzinn (TBT) verpflichtet. Dieser bislang am weitesten verbreitete Anstrich für die Unterwasserflächen von Schiffen ist eines der schlimmsten Umweltgifte „mit starken hormonellen Auswirkungen auf Meerestiere“, so Manfred Krautter, Chemieexperte der Regenbogen-Krieger vom St. Pauli-Fischmarkt. Zwar sei der nunmehr verwendete alternative Anstrich „noch nicht vollkommen giftfrei“, bedauert Krautter, trotzdem sei es positiv, dass Cunard jetzt „die erste internationale Reederei mit einer TBT-freien Flotte ist“.

Den Tausenden, die den ganzen Tag vor dem Kreuzfahrtterminal in der Hafencity bei Kaffee und vermutlich auch Glühwein im kühlen Schmuddelwetter bis zur Nackenstarre die schwarze Bordwand der „QM2“ emporschauten, dürfte das nur nachrangig interessiert haben, wie Dutzende von begeisterten Zitaten belegen, die von Pressestellen, Agenturen, Hörfunk- und TV-Sendern den ganzen Tag über ohn‘ Unterlass in die Redaktion gefaxt, gemailt und getickert wurden. So sei denn ebenso abschließend wie stellvertretend noch einmal dem Herrn von Albedyll das Wort erteilt: „Die ‚Queen Mary 2‘ harmoniert perfekt mit der maritimen Prägung der Hansestadt. Keine Ecke Deutschlands ist so englisch wie Hamburg, da passt ein englisches Schiff perfekt.“

Da lässt sich ja beinahe die zum Jahresende angekündigte Schließung des Britischen Generalkonsulats an der Außenalster verschmerzen.