piwik no script img

Der gute Haushaltsplan

Bremen berücksichtigt die 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung bei seiner Haushaltsaufstellung. Mit dieser Strategie ist es mal mehr und mal weniger erfolgreich

Von Lotta Drügemöller

Es gibt so viele gute Ziele: Ungleichheiten beseitigen. Frieden schaffen. Den Klimawandel bekämpfen. An weltweiten Absichtserklärungen, sich dieser Ziele anzunehmen, mangelt es nicht. Aber oft genug kommt der Weltrettung eben doch eine aktuelle Krise – man sehe sich um – oder schlicht die Tagespolitik in die Quere. Bremen hat sich deshalb schon vor Jahren vorgenommen, die großen Ziele im Klein-Klein der Kommunal- und Landespolitik fest zu verankern – sie sollen ihren Platz im Haushalt finden.

Und der muss „SDG-konform“ gestaltet werden – also orientiert an den 17 UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals. Er muss damit Zielen genügen wie „Armut beenden“, „Sauberes Wasser“, „Klimawandel bekämpfen“ oder auch „nachhaltiges Wirtschaftswachstum.“

Beim „Verflixten-Frage-Spiel“ des Bremer Entwicklungspolitischen Netzwerks (BEN) in der vergangenen Woche, zu einer Zeit also, als die Menschen gelegentlich noch aus ihren Häusern gingen und Veranstaltungen besuchten, durfte Finanzsenator Dietmar Strehl (Grüne)erklären, was das bedeutet.

Das Konzept des Abends sieht vor, dass auf eine Frage zunächst mit Fragen geantwortet wird. „Wofür brauchen wir überhaupt einen SDG-konformen Haushalt?“, fragt Moderator Christopher Duis vom BEN. „Wie wollen wir die schönen Worte aus dem Koalitionsvertrag Wirklichkeit werden lassen?“, erwidert Strehl.

Im Haushalt werde natürlich in erster Linie über Geld, über Zahlen geredet. „Dahinter verstecken sich aber Ziele“, so Strehl. Das Ziel, 30.000 Kitaplätze zu schaffen, zum Beispiel – konform mit dem Nachhaltigkeitsziel für „Hochwertige Bildung“ (Ziel 4) oder auch „Geschlechtergleichheit“ (Ziel 5).

Hin und wieder kommt es auch vor, dass sich zwei ehrenwerte Entwicklungsziele gegenseitig im Weg stehen. „Dauerhaftes, nachhaltiges Wirtschaftswachstum“ (Ziel 8) ist gelegentlich mit Flächenverbrauch verbunden – aber nicht immer vereinbar mit Ziel 15, „Landökosysteme schützen“.

Am Ende müssen also auch unter Maßgabe der 17 Ziele urpolitische Entscheidungen gefällt werden: Die nach der Verteilung von Gütern bei begrenzten Ressourcen. „Der Koalitionsvertrag gibt uns da schon ganz gut vor, in welche Richtung wir uns im Zweifel entscheiden“, so Strehl. „Die Handelskammer macht dann ein paar Sachen mit, mit anderen ist sie nicht zufrieden. Das muss man aushalten.“

Damit in Zukunft besser überprüft werden kann, welche Maßnahmen Bremen tatsächlich umsetzt, läuft seit drei Jahren ein Projekt zum sogenannten e-Haushalt. Das „e“ steht für elektronisch – dahinter steckt aber mehr als der Plan, den Haushalt online zu stellen: Das Programm soll ermöglichen, den Haushalt tagesaktuell daraufhin zu überprüfen, was mittlerweile umgesetzt ist, ob eine Kita bereits gebaut ist, Fördermittel bewilligt, Stellen in der Verwaltung besetzt sind. Bei der Aufstellung werden die 17 Ziele und deren 169 Unterziele den einzelnen Haushaltstiteln zugeordnet – so wird es auch möglich, auszuwerten, was Bremen für ihre Umsetzung getan hat. „Wir haben dann eine Diskussionsgrundlage. Der Druck wird größer“, erklärt Strehl. Intern wird der e-Haushalt bereits eingesetzt, im Laufe des Jahres soll er auch von der Öffentlichkeit genutzt werden können.

Bisher macht Bremen trotz der Verankerung der Ziele im Haushalt bei deren Umsetzung nicht mehr Fortschritte als andere Länder. Auf der Vergleichs-Webseite „SDG-Portal“ tauchen für die Stadt viele rote Ampeln auf, die anzeigen, dass sich die Werte für ein Kriterium verschlechtert haben. So schneidet die Stadt Bremen 2017 unter anderem bei Kinder- und Altersarmut, bei der Beschäftigungsquote von Frauen, dem Anteil von Kindern mit Kitaplatz oder bei den Mietpreisen schlechter ab als im Vorjahr; für Bremerhaven sieht es nicht besser aus. Fortschritte gibt es dagegen bei Existenzgründungen, Naherholungsflächen oder der Abfallmenge. Im Vergleich zu Städten wie Hamburg oder Oldenburg kann Bremen ebenfalls nur an wenigen Stellen punkten.

Das sieht auch Strehl. „Bei der Arbeitslosigkeit haben wir uns in den letzten zehn Jahren nicht verbessert. Wir stehen mit über zehn Prozent immer noch ganz schlecht da“, konstatiert er einen „blinden Fleck“ bei den Nachhaltigkeitszielen. Auch wenn der gute Wille da ist: „Das Geld fehlt.“

Was das Land für seine Verwaltung kauft, muss bestimmten Umweltstandards entsprechen

Gut also, dass es einen Bereich gibt, in dem die Landesregierung schnellere unmittelbare Erfolge erzielen kann. Das Finanzressort ist auch für die öffentliche Beschaffung des Landes zuständig. Neben Preis und Qualität erhebt Bremen in seinen Ausschreibungen als erstes Bundesland seit Ende 2009 auch ein Nachhaltigkeitskriterium: Papier, Arbeitskleidung, Kaffee – was das Land für den Betrieb seiner Verwaltung kauft, das muss bestimmte Umwelteigenschaften erfüllen und sollte sich auch an arbeitsrechtlichen Standards orientieren.

Der zentrale Dienstleister Immobilien Bremen (IB) hat für viele Behörden den Einkauf übernommen. Genaue Zahlen darf Birte Detjen, bei IB zuständig für sozialverantwortliche Beschaffung, nicht nennen. „Aber sehr weit sind wir bei Textilien und Möbeln, teilweise auch bei Büromaterialien.“

Immer mehr will Bremen auch selbst Kriterien für nachhaltige Produkte aufstellen und die Kontrolle übernehmen, statt nur auf vorhandene Siegel zurückzugreifen. „Für kleine und mittlere Unternehmen bedeuten die offiziellen Siegel einen großen Aufwand“, erklärt Detjen.

Eigene Kriterien werden besonders für Spielzeug, aber auch für IT angelegt, die schon heute zusammen mit anderen Nordländern über das gemeinsame Unternehmen Dataport beschafft wird.

Der gesamte Bereich der nachhaltigen Beschaffung soll in naher Zukunft über Bremens Grenzen hinauswachsen: Geplant ist eine Einkaufsgemeinschaft mit Kommunen im Umland. Die Kontrollgruppe kann so Kräfte bündeln und man verspricht sich zusammen mehr Marktmacht, um bessere Preise erzielen und Bedingungen stellen zu können. Zurzeit ist die Planung der Kooperation auf Eis gelegt – ganz ohne einen Verweis auf Corona kommt auch das Thema faire Beschaffung derzeit nicht aus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen