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Archiv-Artikel

Die Taliban melden sich zurück

In Afghanistan beginnen die Vorbereitungen für die Parlamentswahlen am 18. September inmitten neuer Kämpfe der wieder erstarkten Taliban-Guerilla

Das zersplitterte Parteiensystem und der Wahlmodus tragen zur Unsicherheit bei

DELHI taz ■ Als Pakistans Premierminister Schaukat Aziz kürzlich Kabul besuchte, ging es im Gespräch mit Präsident Hamid Karsai um die Sicherung der langen gemeinsamen Staatsgrenze vor Afghanistans Parlamentswahlen am 18. September. Es war ein Hinweis, dass Pakistan nicht mehr so tun kann, als sei die wieder erstarkte Taliban-Guerilla ein rein afghanisches Phänomen. Bereits vor den Präsidentschaftswahlen im Oktober war Pakistans Armee im Grenzgebiet sehr aktiv gewesen. Die Wahl verlief damals erstaunlich friedlich. Kabul und die Anti-Terror-Koalition erwarten nun von Pakistans Regierung, dass sie wieder für eine undurchlässige Grenze sorgt. Aziz’ Besuch signalisierte die Bereitschaft dazu, auch wenn Pakistan damit erneut gesteht, dass es eine gewisse Kontrolle über die Taliban hat.

Selbst pakistanische Generäle erkennen an, dass ihr Territorium für militärische Operationen in Afghanistan missbraucht wird. Dagegen meinen afghanische und US-Stellen in Kabul immer noch, das militärische Rückgrat der Taliban sei gebrochen. Zwar sei eine Zunahme von Zwischenfällen zu registrieren, diese seien aber eher Überfälle und Sabotageakte und keine koordinierten Angriffe.

Dies mag aber auch Zweckoptimismus sein, insbesondere nach zwei schweren Zwischenfällen vor einigen Wochen, als ein US-Helikopter abgeschossen wurde und kurz darauf ein Team von Spezialeinheiten in einen Hinterhalt geriet. Beide Fälle setzen zumindest rudimentäre logistische Kapazitäten des Feindes voraus. Auch die Aushebung eines Taliban-Verstecks in der Provinz Kandahar vor einer Woche, das offenbar als Waffenlager diente, kann Indiz sein, dass sie ihre militärische Infrastruktur bereits neu aufgebaut haben. Beim Angriff auf das Lager sollen 50 Taliban getötet worden sein.

Am gleichen Tag wurde in der Provinz Paktika ein Parlamentskandidat erschossen. Es ist damit zu rechnen, dass die über 6.000 Kandidaten für die Wahlen jetzt verstärkt ins Visier der Taliban kommen. Ihr Führer Mullah Omar erklärte dem demokratischen Prozess bereits den heiligen Krieg. Die Regierung will trotz steigender Zahl militärischer und terroristischer Vorfälle am Wahltermin festhalten. Auch die internationale Gemeinschaft steht dahinter, wie die Ankunft der ersten EU-Wahlbeobachter unter Leitung der früheren EU-Kommissarin Emma Bonino in Kabul zeigt. Trotzdem fehlen zur Durchführung der Wahlen laut Kabuler UN-Mission noch 30 Millionen Dollar.

Die Wahlkommission hatte zunächst 208 Kandidaten wegen zweifelhafter Hintergründe nicht zugelassen. Inzwischen wurden bis auf elf aber alle registriert. Das Motiv für diesen „Pragmatismus“, heißt es aus dem Umfeld der Kommission, ist die Hoffnung, dass diese meist früheren Kommandanten innerhalb der Institutionen weniger Schaden anrichten als außerhalb. Die Kehrseite ist, dass sie diese etwa bei Verwicklung in Drogengeschäfte zu ihrem Schutz missbrauchen können. Inzwischen wurden 65.000 Milizionäre demobilisiert. Doch handelt es sich nur um „offizielle“ Milizen. Die Entwaffnung weiterer 120.000 irregulärer Kämpfer steht noch aus.

Weitere Unsicherheitsfaktoren sind die politischen Parteien und der Wahlmodus. Nach der Präsidentschaftswahl vom Oktober 2004 war erwartet worden, dass sich für die Unterhauswahl große politische Parteien herauskristallisieren. Das ist nicht geschehen. Die insgesamt 72 Parteien bleiben personen- und stammesorientiert. Beobachter geben die Schuld dafür Präsident Karsai und dem inzwischen in den Irak gewechselten US-Botschafter Zalmay Khalilzad. Sie hätten diesen Prozess nicht vorangetrieben, um zu verhindern, dass unliebsame Konkurrenten zu viel Macht erlangen. Es ist schwer vorstellbar, wie sich Wähler über die vielen Parteien und Kandidaten informieren sollen.

Zudem handelt es sich um eine Proporzwahl. Jede der 34 Provinzen bildet einen Wahlkreis mit einer nach der Bevölkerungszahl variierenden Anzahl von Vertretern. Gewählt ist jeweils der Kandidat mit den meisten Stimmen. Dies zwingt Anwärter, ihren Wahlkampf auf die ganze Provinz auszudehnen, was wegen schlechter Infrastruktur und fehlender lokaler Parteiorganisationen kaum möglich ist. Viele Wähler dürften daher den Empfehlungen ihrer Stammesältesten folgen. BERNARD IMHASLY