: Ein erstes Stolpern
In Bremen soll der Kulturhaushalt in diesem und dem kommenden Jahr um rund zehn Millionen Euro erhöht werden. Schon gibt es ein zweites, kontinuierlich finanziertes Tanzensemble. Am Wochenende präsentierte die Compagnie of Curious Nature ihr erstes Stück
Von Jens Fischer
Mehr Kultur braucht das Land. Das murmeln nicht nur Freunde kunstsinniger Erlebnisse, das ermöglichen jetzt auch Politiker ausgerechnet im Bundesland des chronischen Finanznotstandes, in Bremen. Der Kulturhaushalt soll dort in diesem und dem nächsten Jahr, vorbehaltlich eines bürgerschaftlichen Beschlusses in der Sitzungsperiode Anfang Juli, um jeweils rund zehn Millionen Euro erhöht werden, ein Plus von zwölf Prozent gegenüber 2019 bedeutet diese landespolitische Entscheidung.
Die Zahl der kontinuierlich finanzierten Tanzensembles ist bereits um 100 Prozent angestiegen – auf zwei. Zur Compagnie Unusual Symptoms am Theater Bremen gesellt sich für 2020/21 die Compagnie Of Curious Nature: Sechs Tänzer und vier Tänzerinnen, langjährig in Bremen und erstmals in Deutschland aktive Künstler*innen aus neun Ländern, sind bereits seit 2019 im dafür gegründeten Tanzraum Nord fest angestellt.
Eine vor allem bundespolitische Entscheidung. Kulturstaatsministerin Monika Grütters fördert seit 2017 mit dem „Tanzpakt Stadt-Land-Bund“ die Arbeit freier professioneller Compagnien, wenn Kommunen, Länder, Stiftungen die Fördersumme des Bundes mindestens verdoppeln. Dazu entschlossen sich Bremen und Niedersachsen. Zu den 493.000 Euro aus Berlin addieren das Theater Bremen und das hansestädtische Kulturressort jeweils 150.000 Euro, in Hannover beteiligen sich das Kulturbüro und Kultusministerium in ähnlichem Umfang, hinzu kommen in beiden Städten Stiftungsgelder.
Die Produktionen sollen in Bremen und Hannover, aber auch in tanzspartenlosen Stadttheatern sowie Häusern der freien Szene im Nordwesten gezeigt werden. Auch Kooperationen mit den Nordlichtern unter den Choreografen sind geplant, so ist etwa der Oldenburger Ballettdirektor Antoine Jully für ein Stück gebucht, wie auch der Bremer Tomas Bünger.
Helge Letonja realisiert in Bremen seit 1996 unter dem Namen Steptext Tanzprojekte und leitet nun auch den Tanzraum Nord – gleichberechtigt mit Choreograf Felix Landerer, dessen Compagnie seit 2010 eigene Stücke unter anderem in der Hannoveraner Eisfabrik zur Aufführung bringt.
Beide werden parallel zur Arbeit mit Of Curious Nature ihre eigenen Projekte und Gast-Choreografien an anderen Häusern weiterführen. Besonders freut sich Letonja, dank der dreijährigen Förderung – inklusive Hoffnung auf Anschlussfinanzierung wegen markanter Arbeitsergebnisse – endlich einmal tiefgreifend mit einem festen Ensemble arbeiten, ein Repertoire aufbauen und am Leben erhalten zu können.
Felix Landerers „37 minutes of presence“und Alexandra Waierstalls „There/After“ sind am 7. und 8. Mai im Pavillon Hannover zu sehen, in der Bremer Schwankhalle wird diese Produktion am 23. Mai zu Gast sein.
Ein zweiteiliger Abend von Tomas Bünger und Samir Calixtofolgt am 8. Mai in der Schwankhalle, in Hannovers Pavillon soll die Produktion am 22. und 23. Mai zu erleben sein.
„On the shoulder of giants“ist noch am 21., 27. Juni und 1. Juli am Theater Bremen, am 4. Juni am Schlosstheater Celle sowie am 16. und 18. Juni im Schauspielhaus Hannover zu erleben.
Die im Tanz sonst üblichen Projektförderungen laufen immer nur über einen kurzen Zeitraum, so dass von den Produktionen nach der letzten fix vereinbarten Aufführung Abschied genommen, jede darüber hinaus eingehende Gastspielanfrage abgesagt werden muss. Die Beteiligten zerstreuen sich halt sofort wieder in alle Winde, um in anderen Städten neue Engagements anzunehmen.
Of Curious Nature probt vor allem in Bremens Schwankhalle und dem Kulturzentrum Faust in Hannover. Es soll erst mal nicht mit der Setzung einer eigenen Tanzsprache um Aufmerksamkeit gebuhlt, sondern Basisarbeit betrieben werden. Also Bewegungsrecherche am eigenen Körper. „Die Tänzer suchen neue Wege zu tief in ihnen verankerten Ausdruckmöglichkeiten“, hatte Letonja auf einer Pressekonferenz erklärt.
Erste Tanzhaus-Premiere ist Letonjas Choreografie „On the shoulders of giants“, uraufgeführt am Theater Bremen. Dieses aus dem Mittelalter überlieferte Gleichnis von den Huckepack-Zwergen auf Giganten-Schulter könnte als Denkbild für die Bewusstwerdung historischer Kontinuität genutzt werden. Ihr könnte also einerseits Ausdruck verleihen der Verpflichtung zwergenklein neu durchstartender Generationen gegenüber dem riesigen Vermächtnis der Vorgänger. Andererseits auch selbstbewusste Behauptung von Fortschritt sein – „on the shoulders“, also mit der Kenntnis des bereits vorhandenen Wissens, blickt der Zwerg optimistisch voraus – wohl ahnend, dass die meisten Riesen aus ganz vielen Zwergen bestehen. Nutzen will der Choreograf solche Assoziationen und laut Programmzettel das Machtverhältnis untersuchen, wenn der Mensch in der Gegenwart auf den Schultern der Vergangenheit für die Zukunft agiert.
Zu einem Müllhaufen zusammengekehrt sind die Tänzer, in unförmigen Mänteln (Kostüme: Min Li) skulptural erstarrt. Zur vibrierend animierenden Musik von Simon Geoff und Lynn Wright entledigt sich ein Bewegungskünstler des erdrückenden Kleidungsstücks, steht nun in satinglänzend weißer Pluderhose da, streckt und reckt sich, Wellen durchlaufen seinen Körper, der daraufhin zeitgenössische Ballettfloskeln vorführt.
Die noch bemäntelten Kollegen tragen einen der ihren auf den Schultern, versuchen sich dann aber aus dem Pulk zu emanzipieren, werden zu Turntanzgeräten, Verführerinnen oder Verführten – und knäulen sich schnell wieder zusammen.
Dann wird es leider unübersichtlich. In rasendem Revuetempo reiht Letonja Szenen aneinander, die sich weder in einem choreografisch-dramaturgischen Spannungsbogen auseinanderentwickeln, noch inhaltlich nachvollziehbar auf das Titelthema Bezug nehmen. Zu erleben sind vielmehr unbeholfene Paar-, wuselige Passanten-, extravagante Solotänze und Gruppenszenen, bei denen wohl unisono gedachte Bewegungsfolien großenteils arg asynchron dargeboten werden. Nicht den Raum für die neugierige Kommunikation unterschiedlicher Bewegungssprachen auf den Schultern der Tanzgeschichte bietet die Aufführung, sondern eine mit Bewegungs- und Gestenvokabular völlig überladene lose Sammlung von Tanzskizzen.
Mit den üblichen Situationen in konventionellen Auflösungen: Paare, die sich finden, einander fremd werden und verlieren, Gruppen, die zentripedalkräftiges Zusammenkommen oder zentrifugalkräftiges Auseinanderstieben feiern, und sich trippelnd vereinzelnde, zeitlupig graziös vor sich hin tanzende, einander umspielende oder in den Arm fallende Darsteller*innen.
Einige testen noch eine ominöse Identität und setzen eine Blumenmaske auf, woraufhin sie befummelt und weggetragen werden. Gut verstecken lässt es sich auf Letonjas Bühne zwischen Duschkabinen, die das Tanzgeviert flankieren, oder hinter einem milchigen Vorhang aus gerade ja übelst beleumundetem Plastik. Er inspiriert das Finale: Tänze mit Plastikplanen. Recht plump wirkt es, wie sich Menschen darin einwickeln, also voneinander isolieren, während andere unverpackt auf Partnerfang gehen. Dabei starren alle zumeist einsam-traurig ins Leere und finden nicht zueinander.
„Of curious nature“ ist sie wirklich, diese erste Präsentation des neuen Ensembles für den Nordwesten, hat den Charme des Vorläufigen. Mit der individuellen Klasse der Tänzer*innen kann es in den kommenden Produktionsphasen sicherlich zusammenwachsen und aus den neuen Impulsen und Dynamiken einen gemeinsamer Ausdruck, Ansätze zu einer eigenen Form und originellen Stilistik entwickeln.
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